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Historische Darstellungen in Computerspielen
Einsichten und Perspektiven 4 | 15
ganzer Schülergenerationen formte. Inzwischen wird im
Schulunterricht verstärkt auf kultur- und gesellschafts-
historische Entwicklungen eingegangen, ein Weg, den
Computerspiele seit einigen Jahren ebenfalls beschreiten.
Der Grund ist unter anderem ein technischer: Moderne
Spielplattformen können viel detailliertere und größere
Welten darstellen als noch vor einem Jahrzehnt und so die
Exploration des Spielraums zu einem zentralen Bestand-
teil des Spielerlebnisses formen. Daher sind auch nicht die
aufgeführten oder die emergenten, sondern vor allem die
evozierten und eingebetteten Geschichten entscheidend
für eine Betrachtung des Geschichts- und Gesellschafts-
bilds eines Computerspiels.
Die grundlegenden Herausforderungen historischer
Darstellungen in Computerspielen sollen im Folgenden
entlang der Spielreihe
Assassin’s Creed
(Ubisoft, seit 2007)
,
speziell des siebten Teils
Unity
(Ubisoft, 2014) kritisch
diskutiert werden, wobei diese Spiele exemplarisch für
den Versuch stehen, historische Settings in primär unter
ökonomischen Gesichtspunkten produzierten Computer-
spielen zu thematisieren. In der Analyse teilt sich die Frage
nach historischer Genauigkeit in Fragen nach der audiovi-
suellen Darstellung, der aufgeführten, eingebetteten und
evozierten Narrationen, der Handlungsmotive der Figu-
ren, immer mit Blick auf den Spielcharakter des Werks
und die ökonomischen Notwendigkeiten der Medienpro-
duktion, die sich an den Erwartungshaltungen der Ziel-
gruppe ausrichtet.
Die 3D-Action-Adventures der Reihe
Assassin’s Creed
sind in unterschiedlichen Epochen angesiedelt, in
denen sie ihre Spieler historische Ereignisse an zentralen
Orten mit berühmten Figuren erleben lassen. Die Rah-
menhandlung der Reihe bezieht sich auf einen fiktiven
Kampf zwischen den Geheimbünden der Tempelritter
und der Assassinen, der seit Jahrhunderten die Weltge-
schichte begleitet und von den einzelnen Spielen in den
Kreuzzügen, der Renaissance, des Osmanischen Reichs,
der europäischen Kolonialzeit in der Karibik, der Ameri-
kanischen und Französischen Revolution und in Arbei-
terkämpfen der Industrialisierung verortet wird. Weitere
veröffentlichte und geplante Episoden handeln vom
indischen Reich der Sikh im Krieg mit der
East India
Company
oder im zaristischen Russland zur Zeit der
Oktoberrevolution. Dadurch, dass die Settings in zentra-
len Konflikten der Weltgeschichte eingebettet sind, wer-
den die zahlreichen Kampfszenen narrativ motiviert und
das Gameplay kann sich auf die im zweiten Abschnitt
erwähnten Konfliktaustragungs- aber auch Erkundungs-
formen konzentrieren.
Während für eine historische Analyse die Verschwörungs-
geschichte der Rahmenhandlung getrost vernachlässigt
werden kann, gründet der Ruf und der Ehrgeiz der Ent-
wickler auf den möglichst akkuraten Nachbildungen der
jeweiligen Epochen. Nicht die erzählte Spielhandlung ist
daher zu betrachten, sondern die evozierte und einge-
bettete Narration. Historische Städte, darunter London,
Rom, Florenz, Nassau, Paris, Damaskus, Konstantinopel,
Jerusalem, Havana, werden architektonisch, stilistisch
und atmosphärisch mit Unterstützung von Historikern
detailliert nachempfunden, jeweils im Rahmen der tech-
nischen Möglichkeiten, wodurch die Spieler während des
Spiels einen umfassenden Eindruck von den historischen
Bedingungen bekommen. In zahlreichen Bildersammlun-
gen dokumentieren Fans der Serie Gemeinsamkeiten und
Unterschiede zwischen den echten Schauplätzen, sofern
noch erhalten, und den virtuellen Rekonstruktionen.
Zusätzlich enthält jedes Spiel eine historische Datenbank
mit Fakten zu den Orten, Personen und Ereignissen, die
für den Kontext des Spiels relevant sind.
Angesichts vieler Fehler und Ungenauigkeiten, histori-
scher Auslassungen und Anachronismen ist es zu einfach,
lediglich die Schwächen der Darstellung zu betonen. Die
Referenz ist dabei nicht eine „objektive Geschichte“, das,
was „wirklich passiert ist“, sondern die aktuelle Rekons-
truktion durch die historiographischen Forschung.
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Stets muss auch der Kompromiss zwischen historischer
Korrektheit und spielerischer Notwendigkeit beachtet
werden. In seiner Analyse des Spiels
Assassin’s Creed Unity
(im weiteren Verlauf ACU) weist der Historiker David
Andress darauf hin, dass im Vergleich zur Darstellung
im Spiel das Paris des 18. Jahrhunderts deutlich dunkler
und schmutziger war, mit engeren Straßen und höheren
Gebäuden.
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Das Paris in ACU ist hingegen offener mit
gut begehbaren Wegen, die ein flüssigeres Gameplay in
einem frei navigierbaren Raum ermöglichen. Die Stra-
ßen des historischen Paris’ waren gefüllt mit aggressiven
Kutschenfahrern und Verkehrsstaus, worauf wiederum
zu Gunsten der Spielbarkeit vollständig verzichtet wurde.
Auf der anderen Seite war Paris deutlich kommunaler, und
Fremden, die durch die Viertel und Hinterhöfe spazierten,
wäre misstrauischer begegnet worden. Paris in ACU wirkt
11 Nicolas Trépanier: The Assassin’s Perspective: Teaching History with Video
Games, 2014, vgl.
https://www.historians.org/publications-and-directories/perspectives-on-history/may-2014/the-assassin%E2%80%99s-perspective
[Stand: 27.11.2015]
12 Bob Whitaker/ David Andress: History Respawned: Assassin’s Creed Uni-
ty (2015), vgl.
https://www.youtube.com/watch?v=r47yZIYBUzc[Stand:
27.11.2015].