Table of Contents Table of Contents
Previous Page  22 / 80 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 22 / 80 Next Page
Page Background

22

Historische Darstellungen in Computerspielen

Einsichten und Perspektiven 4 | 15

halb ihrer jeweiligen Spielwelten einsetzen. Menschen

können schon in jüngsten Jahren den magischen Kreis der

Spielwelt von ihrer übrigen Lebenswelt unterscheiden und

spielerische von nicht-spielerischer Gewalt trennen. 

8

Aber auch unterhalb dieser Spirale audiovisueller Über-

bietung, befürchteter Wirkung und konstatierter Wir-

kungslosigkeit auf die Spieler bleibt die Beobachtung, dass

sehr viele Spiele gewalthaltige Konfliktlösungen anbie-

ten. Kaum ein erfolgreiches Action-Adventure kommt

ohne Waffen aus, und auch die oben erwähnten Aufbau-

und Strategiespiele simulieren überwiegend Kriegs- und

Kampfszenarien, die meisten Jump’n’Run-Spiele haben

Gegnertypen, die nur mit Waffeneinsatz überwunden

werden können oder zumindest durch schwere Objekte,

die auf sie geworfen werden. Woher kommt also diese

ganze, wenngleich immer spielerische und oft comichaft

überzeichnete Gewalt?

Der Grund hierfür ist nicht nur eine historischer –

weil Spiele das immer schon gemacht haben – sondern

auch ein technischer, hierin folge ich der Argumentation

von Chris Franklin. 

9

Computerspiele sind künstlerische

Simulationen realer oder fiktiver Welten, es sind regel-

basierte Systeme, wobei die Einhaltung der Regeln von

einem Computer sicher gestellt wird und damit dessen

technischen Einschränkungen unterliegen. Computer

sind hervorragend geeignet, Daten in Form von Zahlen

miteinander zu vergleichen und zu verrechnen. Deutlich

schlechter eignen sie sich für die Bewertung kreativer Ent-

scheidungen, für anregende Unterhaltungen oder für dar-

stellende Imitations-Spiele. Die grafische Repräsentation

von Zahlen erfolgt am einfachsten in Form von Tabellen

oder als räumliche Koordinaten. Da tabellenbasierte Spiele

wie „Fußball-Manager“ (Bright Future, 2001–2013) oder

„Crusader Kings 2“

(Paradox Interactive, 2012)

sowohl im

Zugang als auch im Gameplay außerordentlich spröde

sind, basiert die Mehrzahl aller Computerspiele auf einer

Bewältigung raumbezogener Probleme. Menschen haben

in ihrer Umwelt viele Interaktions- und Kommunikati-

onsmöglichkeiten, in computergesteuerten Umgebungen

hingegen sind diese Optionen deutlich eingeschränkter.

Die zentralen Regeln der meisten grafischen Compu-

terspiele ist daher die Abfrage der Identität von Objekt-

Koordinaten, die als Kollision registriert wird: Landet

die Spielfigur auf der Plattform oder daneben?, fährt das

8 Dietrich Dörner: „Killerspiele“ und Gewalt, 2010, S. 15f., vgl. https://www.

uni-bamberg.de/fileadmin/ba2dp4/PDF/Killerspiele.pdf

[Stand: 27.11.2015].

9 Chris Franklin: Violence In Games, 2012; vgl.

https://www.youtube.com/

watch?v=wSBn77_h_6Q [Stand: 27.11.2015].

Rennauto auf der Straße oder gegen die Streckenbegren-

zung?, ist das Feld frei oder bereits besetzt? Und: Trifft ein

Schuss, Schlag oder Tritt sein Ziel oder daneben?

Nun ist die Feststellung, dass Regelsysteme von Com-

puterspielen vor allem auf Kollisionsabfragen von Spielob-

jekten basieren, für die Werkinterpretation so wenig aus-

sagekräftig wie die Beobachtung, dass Filme vor allem eine

schnelle Abfolge von Bildern sind. Dennoch erklärt sie die

Tendenz vieler Spiele, ihre Herausforderungen in Form

von Kollision zu lösen. „

It reminds me of that moment from

a few years back when Cliff Bleszinski admitted that the real

reason so many games revolve around shooting is that shoo-

ting is one of the only interactions games can really nail at

present

.” 

10

Dem wäre hinzuzufügen, dass sich inzwischen

eine zweite Interaktionsform in 3D-Räumen etabliert hat:

die Exploration, bei der eingebettete Geschichten ent-

deckt, rekonstruiert und erfahren werden. So atmosphä-

risch beeindruckend diese Exploration Games auch sind,

aus spielerischer Sicht überzeugen sie nur selten, und wer-

den daher auch etwas verächtlich als „Walking Simulator”

oder „

Not-Games

” bezeichnet, um sie von den üblichen,

kollisionsreicheren Spielerfahrungen mit komplexerem

Regelwerk abzugrenzen.

Zusammenfassend lässt sich in diesem Abschnitt fest-

halten, dass viele Spiele, aber längst nicht alle, gewalthal-

tige Handlungsoptionen anbieten, die im Rahmen des

Spielverlaufs aber nicht die gleiche Funktion haben wie

Gewalt in nicht-interaktiven Erzählungen. Vielmehr geht

es um spielerische Herausforderungen in virtuellen Räu-

men, die Gewalt ist dabei eine Visualisierung des Entfer-

nens gegnerischer Spielfiguren. Natürlich geht es auch um

den erhöhten Verkaufswert, den martialische Bilder mit

sich führen, aber hierin unterscheiden sich Spiele nicht

von anderen Unterhaltungsmedien. Bei normaldispo-

nierten Spielern, die sich in einem den Medieninhalten

angemessenen Alter befinden, ist keinesfalls zu befürch-

ten, dass gespielte Gewalt auf Verhalten oder Einstellung

gegenüber echter Gewalt abfärbt, weil bei einem mündi-

gen Mediennutzer beide Lebensbereiche klar voneinander

getrennt werden können.

10 Christian Donlan: Touch the future: meet the games embracing the

material world, (2014), vgl.

http://www.eurogamer.net/articles/2014-

10-04-touch-the-future-meet-the-games-embracing-the-material-

world [Stand: 27.11.2015].