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„Was hat das mit mir zu tun?“
Einsichten und Perspektiven 2 | 15
etwa zweiminütigen Animation ist die Stadt hell erleuch-
tet, viele Lichtpunkte zeigen die Wohnsitze der ca. 8.000
jüdischen Einwohner, die es 1937 noch in München gab.
Bis 1941 werden viele von ihnen vertrieben und ab 1939
in „Judenwohnungen“ zusammengedrängt; im November
1941 folgen dann die ersten Deportationen. Die Karte
illustriert eindrucksvoll, wie die Gemeinschaft zwangs-
weise aufgelöst, wie aus dem Innern der Stadt einzelne
Lichtpunkte herausgezogen werden, der Stadtkern immer
dunkler wird und sich parallel dazu drei neue „Siedlun-
gen“ außerhalb Münchens Stadtzentrum bilden. Diese
immer weiter expandierenden Kreise markieren die Sam-
mellager, die so genannten „Judenlager“ in Milbertshofen
und Berg am Laim sowie – ab Ende 1941 – die Konzen-
trationslager Kaunas, Lublin, Theresienstadt und Ausch-
witz. Die Animation verdeutlicht durch das Erlöschen des
Lichtes, – mit besonderem lebensweltlichem Bezug für
die Menschen, die in München leben und auf der Karte
ihren Wohnort ausmachen können – wie eine so große
Zahl von Menschen „einfach verschwinden“ konnte – aus
der Mitte der Stadt und der Gesellschaft und vor „aller
Augen“. Dieses Ausstellungselement kommt dabei völlig
ohne Effekthascherei aus. Wir sehen nur eine Karte, auf
der helle Punkte aus der Stadt herausgezogen werden, sich
in anderen „Nicht-Orten“ 
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formieren und dann tatsäch-
lich verschwinden – nicht nur von der Karte und aus dem
Sichtfeld, sondern aus dem Leben.
Die Medientische des Lernforums ermöglichen interaktives und intuitives
Lernen in Kleingruppen.
Foto: Jens Weber
Der Einsatz digitaler Möglichkeiten der Geschichtsver-
mittlung, wie z.B. die interaktiven Touchtables oder ani-
mierte Karten, verfolgt im NS-Dokumentationszentrum
nie die Absicht, Entertainment bieten oder die Geschichte
in leicht konsumierbaren Häppchen verabreichen zu wol-
len. Das übergeordnete Ziel bleibt immer die sachliche
Dokumentation. Digitale Vermittlungsmedien kommen
ebenso wie „dramatische“ Bilder oder Projektionen nur
zur Anschaulichkeit und Aufklärung über historische Tat-
sachen zum Einsatz und werden nicht zur Sentimentalisie-
rung, Verkitschung oder Effekthascherei freigegeben.
Das Prinzip von Erinnern und Lernen, die Verqui-
ckung von analogen, – wenn man so will – traditionel-
len, Medien und neuen digitalen Möglichkeiten der his-
torischen Wissensvermittlung zeigt sich auf einer eigenen
separaten Ebene im Untergeschoss des NS-Dokumenta-
tionszentrum. Hier, im Lernforum, gibt es eine Präsenz-
bibliothek und einen Bestandsauszug aus der „Bibliothek
der verbrannten Bücher“ 
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sowie – kaum etwas gibt die
persönliche Erinnerung stärker wieder als literarische Auf-
zeichnungen – die handschriftlich verfassten „Moabiter
Sonette“ von Albrecht Haushofer.
Erinnerungen aus erster Hand zeigen die „Moabiter Sonette“ von Albrecht
Haushofer.
Foto: Jens Weber
14 Der Begriff der „Nicht-Orte“ (ursprünglich von Marc Augé) wird in der
jüngeren Forschung immer häufiger auch für die Konzentrations- und
Vernichtungslager der Nationalsozialisten verwendet, u.a. in: Joel Kotek;
Pierre Rigoulot: Das Jahrhundert der Lager. Gefangenschaft, Zwangsar­
beit, Vernichtung, Berlin/München 2001.
15 Eine Dauerleihgabe von ca. 100 Werken aus der Universitätsbibliothek
Augsburg.
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