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Einsichten und Perspektiven 2 | 15
Die chinesische Mauer – getanzt auf der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking, 2008
Foto: picture-alliance/dpa, Fotograf: Diego Azubel
Das Bild der Langen Mauer und derer, die an ihr arbei-
teten, wurde in einer großen Inszenierung von Regisseur
Zhang Yimou im Rahmen der Eröffnung der Olympi-
schen Spiele 2008 in Peking aufgenommen. Ein Teil der
Eröffnungszeremonie zeigte die Lange Mauer, dargestellt
von 879 Tänzern, die jeweils in einem Block steckten und
gemeinsam eine Mauer bildeten. Nach ein paar Sekun-
den, die das Bild gehalten wurde, brach es auf und ver-
wandelte sich in ein Blumenmeer. Aus den 879 Blöcken
heraus ergoss sich eine Fülle hellroten Stoffs. Am Ende
streckten die Tänzer dann ihre Köpfe aus den Blöcken und
winkten dem Publikum zu – möglicherweise eine Anspie-
lung auf die unzähligen Arbeiter, die das Werk der Langen
Mauer einst schufen.
Doch zurück zu den Mauern der Qin: Der Kulturwis-
senschaftler Carlos Rojas und andere weisen darauf hin,
dass man sich hier wohl nicht eine einheitliche, unüber-
windliche Mauer vorzustellen hat, sondern eher mehrere,
hintereinander liegende Reihen von Teilwällen, die eher
eine Grenzregion markierten, wo Menschen und Güter
passierten und wo die Beziehungen zwischen Volksgrup-
pen und Clans stets neu ausgehandelt wurden. So spricht
der britische Historiker John Man auch von „the First
Emperor’s Less-Than-Great-Wall“ 
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– der Langen Mauer
des Ersten Kaisers, die gar nicht so lang war. Es ist davon
auszugehen, dass der Wall sich damals nicht wirklich über
4.000 Kilometer erstreckte, wie Sima Qian schreibt. Dazu
ist das Terrain, von dem die Rede ist, viel zu unzugänglich
und das Klima zu extrem – von den nordwestlichen Sand-
wüsten bei Lintao (im heutigen Gansu) über die Trocken-
steppen der Mongolei bis nach Liaodong im Nordosten,
wo lange, bitter kalte Winter herrschen. Wahrscheinlich
wurden die Mauern eher so angelegt, dass sie sich gemein-
sam mit natürlichen Hindernissen wie Bergzügen zu einer
Begrenzungslinie fügten.
Die Han (206 v. – 220 n. Chr.) führten das Werk der
Qin fort. Unter ihrer Herrschaft sollen 10.000 Kilometer
anWällen errichtet worden sein: von Lop Nur im heutigen
Xinjiang über den Yalu-Fluss bis hin zur heutigen Grenze
zwischen China und Nordkorea. Reste dieser Mauern
sind bis heute erhalten, so z.B. nahe Yumenguan, an der
Grenze zwischen den Provinzen Gansu und Xinjiang.
Doch nicht alle Dynastien setzten auf Verteidigungs-
mauern. So ist die Tang-Dynastie (618–906 n. Chr.) z.B.
berühmt für ihren Kosmopolitismus und den offenen,
künstlerischen Austausch mit Nachbarregionen. Araber,
Ceylonesen und Menschen aus Sogdien (dem heutigen
Usbekistan) lebten in den Städten der Tang. In Chang’an
hielten sich zeitweise 25.000 Fremde, in Kanton 120.000
Fremde auf.
5 John Man: The Great Wall, London u.a. 2008, S. 29.
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