Einsichten und Perspektiven 2|15 - page 68

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Die Lange Mauer in China
Qin Shi Huangdi, der Erste Kaiser von China (259–210 v. Chr), gab den Befehl zum Bau der Mauer.
Foto: ullstein bild – IBERFOTO
Laut dem Historiker Sima Qian gab der Erste Kaiser von
China und Reichseiniger Qin Shi Huangdi im Jahr 215
v. Chr. die Order an seinen General Meng Tian, entlang
der nördlichen Grenze des Reiches eine Linie von Ver-
teidigungsanlagen zu errichten. Sie sollte vom Golf von
Bohai bis in die Wüste Gobi in Zentralasien reichen. Um
Sima Qian zu zitieren:
„Ch’in gained mastery over the empire […] the First
Emperor […] sent Meng T’ien to build the Great Wall and
defend the borders, driving back the Hsiung-nu […] so that
the barbarians no longer ventured to come south to pasture
their horses.“
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In diesem Text liegt auch der Ursprung der chinesi-
schen Bezeichnung für die Lange Mauer. Sie lautet:
wanli
changcheng
, die „10.000 Li lange Mauer“. Zur Zeit der
Qin-Dynastie (221–206 v. Chr.)
wurde vor allem mit gestampf-
ter Erde und Holz gebaut. Um
den Bau der Maueranlagen
zur Zeit der Qin ranken sich
zahlreiche Legenden. Eine bis
heute bekannte Legende ist die
von Meng Jiangnü – der Frau
eines Soldaten, der an der Lan-
gen Mauer im Arbeitseinsatz
war. Versionen dieser Legende
finden sich beispielsweise auf
Fragmenten, die in den Höhlen
der Wüstenoasen von Dunhu-
ang gefunden wurden. Meng
Jiangnü reist an die Mauer, voller
Sorge um ihren Ehemann, der
lang nicht nach Hause gekom-
men war. Als sie an der Mauer
ankommt, erfährt sie, dass ihr
Mann den Mühen des Mauer-
baus zum Opfer gefallen und ver-
storben ist. Seine Knochen sind
in der Mauer vergraben, so heißt
es in der Legende. Meng Jiangnü
weint so bitterlich, dass sie mit
ihrem Kummer die Mauer zum
Einsturz bringt.
Tatsächlich weisen Verse, die
aus der Zeit der Qin-Dynastie
überliefert sind, auf die enorm schweren Bedingungen des
Mauerbaus für die Arbeiter hin:
„Wenn du einen Sohn hast, zieh ihn nicht groß, heißt
es dort: Siehst du nicht: die Lange Mauer ist auf Skeletten
gebaut.“ 
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Auch der Großhistoriker, Sima Qian selbst, beschrieb
Meng Tian als einen General, der nicht zimperlich mit
seinen Arbeitskräften umging und dem nicht das Wohl
der einfachen Menschen am Herzen lag, sondern lediglich
die Befehle des Herrschers.
Darum erklärte Luo Zhewen, Vizepräsident der Gesell-
schaft der Langen Mauer, auch, die Mauer sei zugleich ein
Produkt der feudalen Gesellschaft wie eine Inspiration für
das chinesische Volk, auf demWeg des Aufbaus eines Sozi-
alismus mit chinesischer Prägung weiterzugehen.
3 Sima Qian: Records of the Grand Historian of China, übs. von Burton Wat­
son, vol. 1, New York 1961, S.31 f.
4 Zit. nach Rojas (wie Anm. 2), S. 88.
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