Einsichten und Perspektiven 2|15 - page 76

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An den Grenzen unserer Welt
der Übergang in eine andere Welt: Von der Bushaltestelle
ein paar Meter weiter zu Fuß, erreicht man hohe Zäune
mit Stacheldraht und Kameras. Bewaffnete Grenzschüt-
zer mit Blick Richtung Süden. Die Grenze als solche so
spürbar wie nie zuvor. Eine scharfe Trennlinie zwischen
Arm und Reich, Europa und Afrika, zwischen zwei Wel-
ten. Sogar die Uhren gehen auf der anderen Seite des
Zauns anders: In Marokko lebt man nach
West European
Time,
eine Stunde vor der mitteleuropäischen Zeit. An der
Grenze erwartete mich ein großer Trubel. Mehrere Dut-
zend Marokkaner diskutierten mit dem Grenzhüter in sei-
nem kleinen Häuschen. Um was es ging, konnte ich nicht
verstehen. Meine Aufmerksamkeit wurde von den langen
Zaunanlagen links und rechts vom Übergang abgelenkt.
Als ich mich nähern wollte um die Zäune genauer zu
betrachten, wurde ich von einem Beamten der spanischen
guardia civil höflich aber bestimmt darauf hingewiesen
zurückzutreten. Man wollte wohl nicht, dass ich so genau
hinsehe. Erst jetzt fiel mir auf, dass das städtische Leben,
obwohl wir noch mitten in der Stadt waren, zum Erliegen
gekommen war. Kein Mensch weit und breit, außer den
marokkanischen Reisenden und ein paar Touristen. Die
leerstehenden Häuser direkt an den Zäunen erinnerten
mich an Bilder von der Berliner Mauer. Eine Grenze zwi-
schen Welten. Verrammelt und verlassen.
Auf der anderen Seite des Zauns
Vor den Toren der beiden Exklaven, Ceuta und Melilla
campieren derzeit Schätzungen zufolge 30.000–80.000
Menschen und warten auf ihre Chance. Organisierte
Schlepperbanden bringen sie vom sub-saharischen Teil
bis zu den Exklaven. 
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Die Festung Europa wird belagert
und Nachschub ist ständig unterwegs. Normalerweise
halten sich die Flüchtlinge vor Melilla rund um den Berg
Gurugu, der auf marokkanischer Seite liegt, versteckt.
Wenn die marokkanische Polizei sie findet, könnten sie
ins Gefängnis kommen oder abgeschoben werden. Viele
warten Monate auf ihre Chance. 
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Immer wieder hört
man erschütternde Berichte über die Camps und von den
Versuchen die Zäune zu erstürmen. So hatten im Feb-
ruar 2015 mehr als 600 Flüchtlinge versucht, mit Klet-
terhaken und Nägeln unter den Schuhen die meterhohen
Grenzzäune um die spanische Exklave zu überwinden.
Nur wenige schafften es ins Aufnahmelager. Auch wäh-
rend meiner Reise konnte ich Anzeichen dafür entdecken.
Direkt hinter der Grenze lag ein Busbahnhof. Das heißt,
es gab ein kleines heruntergekommenes Häuschen, davor
ein paar Busse und einen riesigen Haufen Müll, der sich
bis zum Strand türmte. Der Gestank des Mülls war bes-
tialisch. Bettler umringten mich. Ein schrecklicher Ort.
Ich hatte meine gewohnte Welt verlassen und war in der
Hölle gelandet. Auf dem Müll suchten hauptsächlich
Frauen und Kinder nach Verwertbarem. Aber mir fielen
auch einige junge Männer mit vernarbten Schnittwunden
an Händen, Beinen und im Gesicht auf. Ich war ob Ihrer
stets gleichen Verletzungen verwundert. Heute bin ich mir
ziemlich sicher, dass sie Flüchtlinge waren, die versucht
hatten, über den Zaun zu klettern und offensichtlich am
Stacheldraht scheiterten.
Erstmals hat die spanische Regierung offizielle Zahlen
zu den Kosten der Zäune von Melilla und Ceuta ver-
öffentlicht. Von 2004 bis 2014 wurden von Spanien
74.078.781 € für die Errichtung, Erweiterung, Verbes-
serung und Wartung der Grenzanlagen dieser beiden
Städte ausgegeben.
Das ergibt durchschnittliche Kosten von 20.300€
pro Tag. Dabei noch nicht mitgerechnet sind die Kos-
ten für die vor Ort eingesetzte Polizei und das Militär.
Auch die Errichtung der Zäune, 1996 um Ceuta und
1998 um Melilla, sind nicht in dieser Kostenaufstel-
lung berücksichtigt.
Allein 2014 kostete die Verstärkung des Zaunes
mit feinmaschigem Drahtgeflecht 2.110.000€, davon
1.318.000 € für Melilla und 792.000 € für Ceuta. Ins-
gesamt gelangten seit 2004 30.507 irreguläre Flücht-
linge über den Zaun und das Meer in die Exklaven,
17.553 nach Melilla und 12.954 nach Ceuta.
Vgl.
[Stand: 16.07.2015]
9 Vgl. „Ceuta: 30.000 Flüchtlinge warten an der spanischen Grenze“: http://
-
spanien-ceuta-melilla [Stand: 06.07.2015].
10 Vgl. „Hunderte stürmen spanische Exklaven“, vgl.
de/ausland/fluechtlinge342.html [Stand: 23.10.2014].
1...,66,67,68,69,70,71,72,73,74,75 77,78,79,80
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