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Einsichten und Perspektiven 2 | 15
Reisen eines jungen Menschen
Als ich Melilla das erste Mal besuchte, kam mir das Städt-
chen auf den ersten Blick vor, wie eine normale Klein-
stadt im Süden Europas. Aber der Schein trügt. Ich war
damals mit einem Freund und Rucksack auf Reisen durch
Europa – Holland, Belgien, Frankreich, Spanien. Nach
dem Abitur der Sonne hinterher. Das erste Mal im Aus-
land ohne Eltern unterwegs. Neue Leute kennenlernen,
europäische Kultur erfahren, die für meine Generation
selbstverständliche Reisefreiheit durch die Mitgliedslän-
der der Europäischen Union genießen. Eine leichte und
unbeschwerte Zeit. Überall Offenheit, überall Freiheit.
Mein europäischer Sommer. Und dann eben, weil es unser
Interrailticket auch beinhaltete, der Trip nach Marokko.
Mit der Fähre von Almeria nach Melilla, in die spani-
sche Exklave auf dem afrikanischen Kontinent, und von
dort nach Marokko einreisen und weiter. Es schien mir
damals keine besondere Sache zu sein, schließlich reiste
ich ja schon seit Wochen unbehelligt durch die Welt. Klar
wusste ich, dass ich an die Außengrenze der EU gelangen
würde und es nunmehr für mich nicht mehr ganz so leicht
werden würde mit der Weiterreise. Woran ich zu der Zeit
aber noch keinen Gedanken verschwendet hatte, waren
die Menschen, die den umgekehrten Weg von Afrika nach
Europa nehmen wollen. Und das nicht um Urlaub zu
machen, sondern um ihrem Elend zu entfliehen und sich
im vermeintlich „gelobten Land“ ein neues Leben aufzu-
bauen. Beim ersten Anblick der Zäune an der Grenze zu
Marokko erschrak ich. Ich sah das erste Mal bewusst die
Menschen jenseits der europäischen Grenzen und erfuhr
dadurch auch mehr über meine Grenzen.
Melilla – auf den ersten Blick eine ganz normale spanische Kleinstadt
Foto: ullstein bild/Fotograf: Markus Matzel
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