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„Was hat das mit mir zu tun?“
Einsichten und Perspektiven 2 | 15
Der Grundtenor der mehrgeschossigen Präsentation
„München und der Nationalsozialismus“ ist ein entschie-
den sachlicher, der auf Sentimentalität, die sich nebenbei
bemerkt an einem Dokumentationsort der Täter auch ver-
bieten würde, verzichtet, und dennoch starke Reaktionen
hervorruft. Dies soll vor allem über die großformatigen,
vertikal angeordneten beleuchteten Bildflächen gelin-
gen, auf denen jeweils mit einem prägnanten Bild eines
der 33 Leitmotive der Ausstellung gezeigt wird. Entlang
dieser Bilder wird der Besucher beginnend im 4. OG des
Gebäudes durch die Dauerausstellung geführt. Dieser
Bilderpfad, der in ca. eineinhalb Stunden abzuschreiten
ist, vermittelt einen Überblick über die NS-Geschichte in
München. Die Vertiefung der Leitthemen findet auf einer
zweiten Präsentationsebene statt. Auf horizontal angeord-
neten Tischen können die Besucher anhand von Repro-
duktionen verschiedener Dokumente sowie Filmen und
digitalisierten Flächen die Inhalte je nach persönlichem
Zeitpensum vertiefen. Die Ausstellung ist zweisprachig in
Deutsch und Englisch verfasst und basiert auf der Kom-
position von Bild und Text. Zu jedem Bild oder Doku-
ment gibt es einen knappen, erklärenden Text. Es ist nicht
zu leugnen, dass diese Ausstellung Leseleistung erfordert,
auch wenn die mehrsprachigen und thematischen Media-
guides den Besuchern vieles „abnehmen“. Aber es ist
auch nicht von der Hand zu weisen, dass dieses Konzept
aufgeht und vor allem in keiner Weise die jugendlichen
Besucher abschreckt, wie auch die ersten Erfahrungen im
Ausstellungsbetrieb bestätigen.
Erinnern und Lernen in der Gegenwart
Das NS-Dokumentationszentrum ist ein „Lern- und Erin-
nerungsort zur Geschichte des Nationalsozialismus. 
7
Ler-
nen und Erinnern – in diesen beiden Begriffen steckt mehr
als nur ein programmatischer Titel. Bei genauer Betrach-
tung lassen sich hier zwei Pole und zwei Generationen aus-
machen, an die sich das neue Haus richten soll. Heute, 70
Jahre nach Kriegsende, können sich an die NS-Zeit direkt
nur noch die Augenzeugengenerationen erinnern, die erste
und zweite Nachkriegsgeneration. 
8
Für diese ist das Erin-
nern an die Taten und Täter des Nationalsozialismus meist
wichtiger Bestandteil ihrer Identität: Wenn diese durch das
NS-Dokumentationszentrum gehen, werden sie an diese
Zeit „automatisch“ erinnert. Für die jungen Generationen,
für jene, die auch familiär oder aufgrund ihrer Herkunft aus
anderen Ländern keine Bezugspunkte mehr zur deutschen
NS-Zeit haben, ist ein Erinnern im wortwörtlichen Sinne
nicht möglich. Sie generieren ihr Wissen aus den Erinne-
rungen der Älteren und aus der Dokumentation der Ereig-
nisse, die aufbereitet und an die lernpsychologischen, medi-
alen und geschichtspolitischen Bedürfnisse der jeweiligen
Gegenwart angepasst werden müssen. Lernen und Erin-
nern – was etymologisch simpel daherkommt, verbindet
Generationen, gilt als Auftrag der Gedenkkultur, der auch
Gegenstand geschichtspolitischer Diskurse ist, und steht im
Zentrum des Konzepts des NS-Dokumentationszentrums.
Besucher lassen die großformatigen beleuchteten Bildflächen auf sich wirken:
Impression aus der Ausstellungsebene 2.
Foto: Orla Connolly
Lesende Besucher auf Ebene 4. Die Dauerausstellung „München und der
Nationalsozialismus“ zeigt auch das „andere München“: Widerständige
Bürger stellen sich dem aufkommenden Nationalsozialismus in den Weg.
Foto: Orla Connolly
7 Der vollständige Titel lautet: NS-Dokumentationszentrum München.
Lern- und Erinnerungsort zur Geschichte des Nationalsozialismus.
8 Zu der Thematik „Erinnerung und Generation“ vgl. u.a.: Aleida Assmann:
Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentli­
chen Inszenierung, München 2007.
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