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50 Jahre Sozialwissenschaftliches Gymnasium
Einsichten und Perspektiven 2 | 15
Einer der Sprecher der SWG-Direktoren, Armin Hackl vom
Olympia-Morata-Gymnasium Schweinfurt, sah anlässlich
eines SWG-Jubiläums am Ursulinen-Gymnasium Strau-
bing im Jahr 2000 in der Entwicklung einen „mutigen
Schritt hinaus aus der Begrenzung der tradierten Mäd-
chenbildung hinein in die Sozialisation der Jungen“. 
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Auftrag des SWG sei es, die Mädchen zu stärken und Jun-
gen in diesem Sinne zu sozialisieren. Seine Glückwünsche
richtete er an die damalige Schulleiterin des Ursulinen-
Gymnasiums, Schwester Angela Veit, die – wie auch die
Schulleiterin des Sophie-Scholl-Gymnasiums München,
Johanna Mehler, und er selbst – die Neupositionierung
des Zweigs forciert hatte:
„Wir beglückwünschen dieses Ihr Gymnasium auch
zur Kraft, die es braucht, sich von einer lange gepfleg-
ten Mädchenbildungstradition, die sich vor allem in
Hauswirtschaft und Handarbeit zeigte – zu ihrer Zeit
der „Brautpreis“ für eine höhere Bildung für Mädchen
überhaupt – zu verabschieden. Die Änderungen in den
Modellversuchen des SWG […] lösen sich nicht vom spe-
ziellen Bildungsauftrag dieser Art des Gymnasiums. Sie
geben ihr mit der Gewichtung sozialwissenschaftlicher
Themen und einer Vertiefung der politischen Bildung
eine aktuelle, mehr denn je notwendig gewordene Bedeu-
tung. […] Es (das SWG) bleibt aber auch der emanzi-
patorischen Tradition insofern verpflichtet, als es in den
Praktika, in den teamorientierten Arbeitsformen humane
Qualitäten, Empathie, Sensibilität und Gesprächsfähig-
keit in besonderer Weise pflegt.“ 
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Sozialpraktische Grundbildung wurde schließlich bay-
ernweit ab dem Schuljahr 2003/04 eingerichtet. Der neue
Lehrplan war gerade ein Jahr in Kraft, als der Wechsel zum
achtjährigen Gymnasium (G8) eingeleitet wurde.
Vom SWG zumWSG-S: Probleme und Chancen im G8
Die politische Entscheidung für das achtjährige Gymna-
sium fiel im Winter 2003/04. Das G8 sollte u.a. Ausbil-
dungszeiten verkürzen und Grundlagen für lebenslanges
Lernen liefern. Der Paradigmenwechsel in den Lehrplä-
nen sollte sich in einer stark ausgeprägten Kompetenz-
und Grundwissensorientierung niederschlagen. Unter
Zeitdruck setzten die mit der Umstrukturierung befassten
Gremien den politischen Willen um.
Für das bisherige SWG, das jetzt als WSG-S („Wirt-
schafts- und Sozialwissenschaftliches Gymnasium mit
sozialwissenschaftlicher Orientierung“) firmierte, bedeu-
tete die neue Situation, dass Fächer, Inhalte und Praktika
auf jüngere Lernende trafen und dass in der Oberstufe
neue Regelungen galten: Inwieweit die Entscheidung von
Zwölfjährigen in der Jahrgangsstufe 7 für einen Zweig,
unter bestimmten Bedingungen sogar schon um Ostern
in der ersten Klasse am Gymnasium, überlegt, positiv und
den Neigungen entsprechend ausfällt, ist zu bezweifeln.
Das Thema, das auch für andere Zweige gilt, war damals
und ist bislang undiskutiert.
Die Rückverlagerung mancher Themen führte dazu,
dass man mit ihnen u.U. auch in die hochpubertäre
Phase traf. Und wenn in den Jahrgangsstufen 9 und 10
die politischen Themen im engeren Sinn wichtig werden,
die Lehrkraft häufig Aktualität in den Unterricht herein-
holen, Debatten anstoßen oder den Politikkreislauf an
einem Beispiel behandeln will, trifft man nicht immer auf
die wünschenswerte Aufgeschlossenheit. Viele 14- oder
15-Jährige leben noch in ihrer sehr ich-bezogenen Welt
und einer eher privaten Informationsblase.
Für die Lehrkräfte bedeutet dies vermehrte Anstrengun-
gen, aber auch Chancen, bei 14-/15-Jährigen „Empfangs-
bereitschaft“ für gesellschaftspolitische und politische
Themen herzustellen. Auch die Auswahl der Praktikums-
stellen für Schülerinnen der Jahrgangsstufen 8 bis 10 ist im
G8 mit noch größerer Sorgfalt vorzunehmen als vorher,
ist doch deren physische und psychische Entwicklungs-
phase verstärkt zu berücksichtigen. Insofern erfordert eine
professionelle Vor- und Nachbereitung der Praktika und
deren Begleitung zusätzliche Bemühungen.
Die Oberstufe erfuhr mit dem Wegfall des Leistungs-
kurses Sozialkunde einen Profilverlust. Eine Vertiefung
und Erweiterung von politologischen und soziologischen
Inhalten im bisherigen Umfang ist nicht mehr möglich.
Die für das G9 schon überarbeiteten Lehrpläne wurden
2003 kurzerhand verworfen bzw. auf G8-Format umgear-
beitet. Hier ein Blick auf die Themenbereiche in Sozial-
kunde am WSG-S (Auszüge):
Jgst. 8:
Der Einzelne als Teil der Gemeinschaft; Jugend-
liche Lebenswelten; Konflikte und Konfliktregelung;
Politik als ständiger Versuch der Problemlösung für
Gesellschaft und Staat
Jgst. 9:
Toleranz und soziale Integration als Vorausset-
zung für ein friedliches Zusammenleben; Jugend und
Medien; Leben in Europa; Gesellschaftlicher Wandel
am Beispiel des Wandels der Geschlechter
Jgst. 10:
Grundlagen unseres demokratischen Zusam-
menlebens; Mitwirkungsmöglichkeiten in der demokra-
tischen Gesellschaft; Das politische System der Bundes-
13 Jahresbericht des Ursulinen-Gymnasiums Straubing 1999/2000, S. 85.
14 Ebd.
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