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6. Praxisbeispiel: Einschulung und erste Schulwochen

6. Praxisbeispiel: Einschulung und erste Schulwochen

Im Bildungssystem finden verschiedene Übergänge zwischen den Bildungsorten statt. Nach den Bayerischen Bildungsleit-

linien (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung 2012) profitieren Kinder von den Kompetenzen, die sie bei

gelingenden Übergängen entwickeln, auch bei allen weiteren Übergängen.

Da Übergänge, wie z. B. der Schuleintritt, auch die Erziehungsberechtigten betreffen, bietet die Grundschule vielfältige

Informations- und Gesprächsmöglichkeiten an. Beim Eintritt in die Grundschule, kommt es nicht nur auf den Entwicklungs-

stand des Kindes, sondern auch darauf an, dass die Schule auf die individuellen Kompetenzen und Lernbedürfnisse der

Kinder eingeht, um einen erfolgreichen Anfang zu ermöglichen.

Erziehungsberechtigte, Kindertageseinrichtung und Schule tragen gemeinsam die Verantwortung für die Bildung und Erzie-

hung von Kindern. Ein intensiver Dialog zwischen Erzieherinnen, Erziehern und Lehrkräften, aber vor allem auch ein enges

Zusammenwirken mit den Erziehungsberechtigten ist die Basis für eine tragfähige Bildungs- und Erziehungspartnerschaft.

Der Begriff der Schulfähigkeit hat in den letzten fünfzig Jahren einen deutlichen Wandel erlebt: vom reinen Schulreifemodell

hin zum Konzept der Schulfähigkeit mit klar formulierten Kriterien. Hintergrund für diesen Wandel waren neue Ansätze

in der Entwicklungspsychologie, die das Lernen durch Umweltanregungen betonen. Schulfähigkeit wird im ökopsycholo-

gischen Ansatz (Nickel 1981) als relativer Begriff gesehen, der sowohl durch den Entwicklungsstand des Kindes als auch

durch das Anforderungsniveau des ersten Schuljahrs definiert wird. Der Entwicklungsstand des Kindes umfasst die Bereiche

körperliche, kognitive, emotionale und soziale Entwicklung.

Ergänzend dazu werden die sogenannten Vorläuferfähigkeiten berücksichtigt. Diese sind für das Lesen- und Schreibenler-

nen in erster Linie die phonologische Bewusstheit (z. B. Hasselhorn/Schneider 2011) und für Mathematik das mengen- und

zahlenbezogene Vorwissen (z.B. Krajewski 2005).

In neueren Studien (z. B. Daseking/Petermann 2011) wird untersucht, welche Vorläufer zur Erklärung von Rechenleistungen

beitragen. Es zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Zahlen- und Mengenvorwissen, dem Zählen, der

Aufmerksamkeit und der späteren Rechenleistung. Auch verbale Gedächtnisleistungen tragen zur Vorhersage der Leis-

tungen im Rechnen bei. Ferner weist die Studie auf die Bedeutung der visuellen selektiven Aufmerksamkeit, der verbalen

Gedächtnisleistungen und der sprachlich-grammatikalischen Kompetenzen für die Entwicklung von Lesen, Rechnen und

Rechtschreibung in der Grundschule hin.

Die heterogenen Lernvoraussetzungen der Kinder erfordern eine gezielte Erfassung der Lernausgangslage zu Beginn der

Schulzeit und eine genaue Beobachtung des einzelnen Kindes bereits zum Termin der Schuleinschreibung, um von Beginn

an passende Lernangebote machen zu können.

Wie das bezogen auf das Zahlen- und Mengenvorwissen aussehen kann, soll im Folgenden anhand eines Praxisbeispiels

aufgezeigt werden.

6.1 Schuleinschreibung

Familiäres Umfeld

Ludwig nahm im Frühjahr 2014 an der Schuleingangsdiagnostik einer bayerischen Grundschule mit dem Münchner Ein-

schulungsverfahren (vgl. S. 60) teil. Er ist das älteste von zwei Kindern und hat eine jüngere Schwester. Die Eltern sind

beide berufstätig. Herr M., der seinem Sohn gegenüber dominant und streng auftritt, beschreibt die jüngere Schwester

als sehr aufgeweckt und intelligent. Da beide Geschwister in der gleichen Kindergartengruppe sind, vermutet der Vater,

dass Ludwig sich gegenüber seiner Schwester nicht durchsetzen kann und daher in seiner Entwicklung und in seinen

Fähigkeiten von Fremden unterschätzt wird.

Vorschulische Entwicklung

Über die Entwicklung im Klein- und Kindergartenalter können beide Elternteile nur wenige Angaben machen. Lediglich

ein später Sprechbeginn ist genau erinnerbar. Auch sei ihnen aufgefallen, dass Ludwig sich ungern mit Bauklötzen, Le-

gosteinen oder Puzzles beschäftigt habe. Er sei lieber mit Freunden draußen. Drinnen spiele er gern mit Playmobil oder

schaue sich Bücher an.

Ab dem Alter von vier Jahren besuchte er einen Kindergarten. Dort habe man Anfang 2013 den Eltern eine logopädische

Therapie für Ludwig empfohlen, die seit März 2013 bis heute andauert.