Der Lockruf der Literatur füllt die Aula bis auf den letzten Platz. Am Vortragspult Hans Werner Richter.
keinen sein freier Nachmittag.
Alle waren sich darin einig:
Wer Literatur fad findet, der
hat von ihr keinen Schimmer!
Der Erfolg des geschriebe–
nen und vorgetragenen Wor–
tes bei einer Jugend, die so oft
als fernsehsüchtig und lese–
faul verschrieen wird, kam al–
lerdings nicht von allein . Die
Deutschlehrer hatten wichtige
Vorarbeit geleistet. Die Dich–
terlesungbildete jedesmal nur
den Schluß- und Höhepunkt
einer monatelangen Vorberei–
tungszeit Wenn der Schrift–
steller kam, war er für die jun–
gen Leute kein Fremder mehr,
sondern ein mit Ungeduld er–
warteter guter Bekannter.
Seit über einem Jahr ver–
wirklichen die Deutschlehrer
des Gymnasiums mit viel Elan
und Engagement eine ge–
meinsame Idee: Sie wollen
ihre Schüler für die Literatur
begeistern, und zwar durch
die persönliche' Begegnung
mit berühmten Schriftstellern .
Darum laden sie in lockeren
Abständen namhafte Autoren
zu Dichterlesungen in die
Schule ein .
Um die jugendlichen Zuhö–
rer auf die Begegnung vorzu-
bereiten, stellen die Lehrer
vor jeder Lesung eine kleine
Textauswahl zusammen, die
auf 16 bis 32 Seiten einen Ein–
druck vom Werk des Autors
gibt. Ein kurzer Lebenslauf
des Dichters sowie ein Ver–
zeichnis seiner wichtigsten
Werke vervollständigen diese
nützliche Informationsschrift
"Weilheimer Hefte zur Litera–
tur" nennen die Lehrer ihre
Veröffentlichungen, die die
Gäste bei den Schülern be–
kanntmachen sollen . Die Hef–
te unterscheiden sich äußer–
lich nicht von Schullektüren
und können auch als solche
im Unterricht verwendet
werden.
Ein solches Heft zusam–
menzustellen, ist viel schwie–
riger als man meint. Es soll ja
in allen Klassen gelesen wer–
den. Also muß auch für alle–
vom Fünftkläßler bis zum Ab–
iturienten - etwas Geeignetes
dabei sein. Bei Franz Ringseis
war das Problem leicht zu lö–
sen . Seine heiter-tiefsinnigen
Mundartgedichte
kommen
bei allen an:
Warum muaß
ma bloß oiwei müassn? War–
um dees toa, was ma net
mecht?
Schwieriger war die Aus–
wahl bei llse Aichinger und
Wolfgang Hildesheimer. Ihre
Texte sind schwere Kost. Läßt
sich darin etwas finden, was
auch die Kleinen anspricht?
Was tun bei Hans Werner
Richter? Er hat vor allem Ro-
mane geschrieben . Wie aber
kann man aus sieben Roma–
nen und 2000 Seiten weniger
als 30 Seiten herauspicken,
ohne dem Autor Unrecht zu
tun?
Mindestens einen Monat
Bitte umblättern
Das kulturel–
le Ereignis
wirft seinen
Schatten vor–
aus. Schon
Wochenvor
der Dichter–
lesung hän–
gen in der
ganzen Stadt
Plakate.
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