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„Alle Terroristen sind Moslems“?

Einsichten und Perspektiven 4 | 16

and Occupation

von Amy Hagopian et al., dass mindestens

405.000 irakische Bürger zwischen 2003 und Mitte 2011

durch direkte oder indirekte Kriegshandlungen getötet

wurden.

31

Und die Studie

Body Count Casualty Figures after

10 Years of the „War on Terror“

kommt zu dem Ergebnis,

that the war

[

on terror

, A.B.]

has, directly or indirectly, killed

around 1 million people in Iraq, 220,000 in Afghanistan and

80,000 in Pakistan, i.e. a total of around 1.3 million

.“ 

32

Die

Zahl der Opfer terroristischer Gewalt lag 2014 laut

Global

Terrorism Index 2015

bei 32.685 Toten.

33

Was diese Zahlen aber auch zeigen ist, was Franz Wör-

demann bereits 1977 als Kennzeichen des terroristischen

Gewaltphänomens bestimmt hat: nämlich die Fähigkeit

des Terrorismus, unser Denken zu besetzen.

34

Tatsächlich

besteht die eigentliche Macht und Stärke des Terrorismus

darin, unsere Wahrnehmung so zu beeinflussen, dass er

stärker und gefährlicher erscheint, als er eigentlich ist. Die

öffentliche Bedrohungsperzeption und Bedrohungskon-

struktion

hängen wesentlich von der medialen Repräsen-

tation der terroristischen Bedrohung und der staatlichen

Reaktion auf den Terrorismus ab

35

: Gerade weil man dem

31 Amy Hagopian: „Mortality in Iraq Associated with the 2003–2011 War

and Occupation: Findings from a National Cluster Sample Survey by

the University Collaborative Iraq Mortality Study“,

PLoS medicine

10/10

(2013), S. e1001533, hier S. 7, 9, 15.

32 International Physicians for the Prevention of Nuclear War, Physicians for

Social Responsibility (U.S.) und Physicians for Global Survival: Body count:

casualty figures after 10 years of the „War on Terror“: Iraq, Afghanistan,

Pakistan, 2015, S. 15. Afghanistan and Pakistan during 12 years of ‘war on

terrorism’. An extensive review has been made of the major studies and

data published on the numbers of victims in these countries. This paper

draws on additional information such as reports and statistics on military

offensives and examines their completeness and plausibility. It applies

interpolation to calculate the figures for those periods for which no in-

formation is available. Even now, 13 years after this war began, there has

still been no equivalent study. This investigation comes to the conclusion

that the war has, directly or indirectly, killed around 1 million people in

Iraq, 220,000 in Afghanistan and 80,000 in Pakistan, i.e. a total of around

1.3 million. Not included in this figure are further war zones such as Ye-

men. The figure is approximately 10 times greater than that of which the

public, experts and decision makers are aware of and propagated by the

media and major NGOs. And this is only a conservative estimate. The total

number of deaths in the three countries named above could also be in

excess of 2 million, whereas a figure below 1 million is extremely unlikely.

Investigations were based on the results of individual studies and data

published by UN organizations, government bodies and NGOs. Figures for

Afghanistan and Pakistan are only estimates based on the numbers of

observed or reported deaths (passive determination,

http://purl.stanford

.

edu/rs154fr6978 [Stand: 17.07.2016].

33 Institute for Economics & Peace: Global Terrorism Index 2015. Measuring

and Understanding the Impact of Terrorism, Sydney, New York City und

Mexico City 2015, S. 2.

34 Franz Wördemann: Terrorismus: Motive. Täter, Strategien, München 1977,

S. 284ff., hier S. 57.

35 Waldmann (wie Anm. 6), S. 13.

(islamistischen) Terrorismus solche Aufmerksamkeit schenkt

und massiv, durch militärische Gewalt oder die Verletzung

von Freiheitsrechten (etwa durch Folter

36

), auf ihn reagiert,

erscheint der (islamistische) Terrorismus so gefährlich. Diese

öffentliche (Über-)Reaktion ist für die Konstruktion eines

spezifisch terroristischen Bedrohungspotenzials notwendig.

Tatsächliche oder vermeintliche Hinweise auf eine reale

und signifikante hohe Bedrohung durch islamistischen

Terrorismus – in Form von Einzelfällen

37

oder der allge-

meinen Reproduktion der Bedrohungsperzeption – erfol-

gen etwa durch die Politik. Etwa wenn von führenden

Politikern die staatliche Kontrolle von Moscheen gefor-

dert wird,

38

die aus Sorge vor islamistischen Tendenzen

aktuell bereits bei 90 Moscheegemeinden in Deutschland

praktiziert wird.

39

Dadurch wird die öffentliche Bedro-

hungsperzeption und Bedrohungskonstruktion

eines

islamistischen Terrorismus einerseits verstärkt und ande-

rerseits gleichzeitig auch bestätigt. Entsprechend hoch

schätzen wir das Bedrohungspotenzial radikal-islamischer

oder islamistischer Organisationen ein, weil sie scheinbar

breite Unterstützung (auch in den westlichen Gesellschaf-

ten) genießen und die damit zusammenhängende Gefahr

terroristischer Anschläge durch so genannte „Schläfer“

oder radikalisierte und gewaltbereite Konvertiten prak-

36 Mit Terrorismus konfrontiert greifen selbst liberale Rechtsstaaten (wie die

USA, Frankreich, Großbritannien oder Israel) zum Mittel der Folter, vgl.

Andreas Bock: 9/11. Terrorismus und die Legalisierung der Folter, in: Tho-

mas Jäger (Hg.): Die Welt nach 9/11, Berlin 2011, S. 882–901.

37 Dazu gehören neben den Anschlägen von Paris, Brüssel oder Ansbach

eben auch Ereignisse, wie der Terrorismusverdacht gegen zwei (muslimi-

sche) Asylbewerber aus Bayern, der sich später als unbegründet heraus-

stellen sollte, vgl. Oliver Bendixen: Terrorverdächtige entlassen: Keinerlei

Hinweise zu IS vom 08.04.2016,

<http://www.br.de/nachrichten/terro-

verdacht-festnahme-fuerstenfeldbruck-100.html> [Stand: 08.05.2016],

oder der Vorfall in Grafing bei München, wo der Messerangriff eines

Mannes auf Passanten nur Minuten nach Bekanntwerden mit Islamismus

in Verbindung gebracht wird: Katharina Blum/Thorsten Rienth/Susi Wim-

mer: Grafing Bahnhof: Mann stirbt bei Messerattacke – Ebersberg vom

10.05.2016,

<http://www.sueddeutsche.de/muenchen/ebersberg/polizei-

toter-bei-messerattacke-in-grafing-bahnhof-polizei-schliesst-politischen-

hintergrund-nicht-aus-1.2987181> [Stand: 10.05.2016].

38 Dagegen könnte man nun einwenden, dass es sich hierbei zum einen ledig-

lich um präventive Maßnahmen handle, die zum anderen auch vereinzelt

Terroranschläge verhindert hätten (etwa im Falle des potenziellen Atten-

täters aus Leipzig). Eine solche Argumentation ließe aber außer Acht, dass

damit

de facto

alle Muslime in Deutschland pauschal unter Terrorismus-

Verdacht gestellt werden und ein ähnlich rigides Vorgehen gegen ande-

re potenziell rechtsterroristische Gruppierungen nicht zu beobachten ist

(Andreas Bock: Der Terror ist nicht muslimisch,

<https://causa.tagesspiegel

.

de/gesellschaft/muessen-wir-mit-terrorterrorismus-einfach-leben-lernen/

der-terror-ist-nicht-muslimischnbsp.html> [Stand: 01.08.2016].

39

süddeutsche.de:

Islamismus-Verdacht: Verfassungsschutz beobachtet

etwa 90 Moscheen in Deutschland vom 02.05.2016,

<http://www.sued deutsche.de/politik/islamismus-verdacht-verfassungsschutz-beobachtet-

etwa-moscheen-in-deutschland-1.2976423> [Stand: 08.05.2016].