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„Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ – reloaded

Einsichten und Perspektiven 4 | 16

und Akzeptanz von und Bereitschaft zu ideologisch fun-

dierter Gruppengewalt.

Unter religiösem Fundamentalismus wird eine strenge

Form der Religiosität verstanden, a) in der die Religion

nicht nur als Grundlage des eigenen Lebens, sondern auch

der gesellschaftlichen Grundordnung begriffen und b) die

Welt in dualistischer Weise in „gut“ und „böse“ eingeteilt

wird, c) in der Gebote und Verbote durch den Verweis auf

die göttliche Autorität begründet werden, als unantastbar

gelten und die religiösen Lehren und die zugrunde liegen-

den Texte wortwörtlich zu befolgen sind, d) die allerdings

nur bestimmte Elemente des Glaubens als heilig erachtet,

andere ignoriert oder umgedeutet werden und e) in der

die Vorstellung vom bald bevorstehenden Ende der Welt

bzw. eine starke Fokussierung auf das „Jenseits“ dominiert.

Der vierte Variablenblock widmet sich der Analyse

zielgruppenorientierter Fernsehberichterstattung und der

Nutzung von Internetforen und Blogs.

Die Analyse des nationalen und internationalen For-

schungsstandes führte außerdem zu weiteren methodischen

und forschungspraktischen Entscheidungen und Folgerun-

gen:

Die Studie konzentrierte sich auf die Untersuchung der

Einstellungenvon14-bis32-jährigenmuslimischenImmi-

granten aus arabisch und türkischsprachigen Ländern und

auf muslimische Deutsche (also Muslime mit deutscher

Staatsangehörigkeit) dieser Altersgruppe. Um deren Ein-

stellungen abschätzen und beurteilen zu können, wurden

auch Vergleiche mit nicht-muslimischen Deutschen (als

Kontrollgruppe) der Altersgruppe der 14- bis 32-Jähri-

gen durchgeführt. Die Auswahl dieser Altersgruppe hängt

nicht nur mit forschungspraktischenGründen zusammen,

sondern folgt auch der Einsicht, dass gerade junge Mus-

lime dieser Altersgruppe die größten Probleme haben, in

Deutschland die gleichen Bildungschancen und Arbeits-

möglichkeiten wahrzunehmen wie ihre nicht-muslimi-

schen Altersgenossen. Die Mitglieder dieser Altersgruppe

gehören zumeist zur sogenannten „drittenGeneration“ der

muslimischenMigranten, die vor anderenAkkulturations-

anforderungen stehen als ihre Eltern und Großeltern.

8

Letztlich wurden also drei Gruppen miteinander vergli-

chen: a) nichtdeutsche Muslime, b) deutsche Muslime

und c) deutsche Nicht-Muslime.

8 Vgl. auch Karin Brettfeld/Peter Wetzels : Muslime in Deutschland. Integ-

ration, Integrationsbarrieren, Religion sowie Einstellungen zu Demokratie,

Rechtsstaat und politisch motivierter Gewalt, hg. v. d. Universität Ham-

burg/BMI, Hamburg 2007. Sonja Haug/Stephanie Müssig/Anja Stichs:

Muslimisches Leben in Deutschland, hg. v. Deutsche Islam Konferenz/

BAMF, Nürnberg 2009.

Die Entwicklung von Vorurteilen im Allgemeinen

und Integrations- und/oder Radikalisierungsprozesse

im Besonderen können langfristigen Entwicklungs-

pfaden folgen, aber auch ereignisbezogen (z.B. Stich-

wort: Flüchtlingsprobleme) offenkundig werden. Um

derartige Prozesse abbilden und erfassen zu können,

wurden die geplanten Vergleiche zwischen der Kont-

rollgruppe und den Zielgruppen im Zeitverlauf als fra-

gebogengestützte, telefonische Panel-Erhebung zu zwei

Messzeitpunkten

durchgeführt (Gesamtstichprobe –

erste Erhebungswelle: N= 923; davon in der zweiten

Erhebungswelle: N= 450). Die erste Erhebungswelle

fand von Oktober bis Dezember 2009, die zweite Erhe-

bungswelle von August bis Oktober 2010 statt.

Außerdem war dem Forschungsteam wichtig, die

quantitativen Befunde mit den Meinungen und Ein-

stellungen höherer Altersgruppen zu vergleichen. Da

davon ausgegangen werden kann, dass z.B. von älteren

Familienmitgliedern, Freunden oder Glaubensgenos-

sen starke Sozialisationswirkungen ausgehen können,

wurde eine qualitative Mehrgenerationenfallstudie

durchgeführt. Dabei handelte es sich um Interviews

mit einer Dauer zwischen 31 Minuten und 4,5 Stun-

den, die aufgezeichnet, transkribiert und (falls nicht

in Deutsch geführt) durch Muttersprachler übersetzt

wurden.

Dass mediale Konstruktionen über das „Eigene“ und

das „Fremde“, über „den Westen“ und „den Islam“ die

Vorurteile zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen

im Allgemeinen und die Akkulturations- und Integra-

tionsprozesse im Besonderen beeinflussen können, ist

mittlerweile empirisch gut belegt. Aus diesem Grunde

wurde die Berichterstattung über das Verhältnis von

Muslimen und Nicht-Muslimen in deutschen (ARD

Tagesschau, ZDF heute, RTL aktuell, Sat.1 Nachrich-

ten), türkischen (TRT Türk, Kanal D) und arabischen

(Al Jazeera, Al Arabiya) Fernsehsendern medienwissen-

schaftlich ausgewertet. Dazu wurden insgesamt 4.160

Nachrichtensendungen mit einer Spielzeit von ca.

16.917 Stunden aufgezeichnet und 629 Beiträge gezielt

analysiert.

Neben den Effekten der „traditionellen“ Verbreitungs-

medien (insbesondere des Fernsehens) fungiert mitt-

lerweile das Internet als wichtiges, in jüngeren Alters-

gruppen sogar dominantes Medium. Um den Einfluss

der Internetkommunikation zu analysieren, wurden

neun relevante, hauptsächlich von jungen Muslimen

genutzte Internetforen einer inhaltsanalytischen Aus-

wertung unterzogen.