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„Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ – reloaded

Einsichten und Perspektiven 4 | 16

In Fokusgruppen (d.h. Diskussionsrunden) mit Gruppen

junger Muslime aus verschiedenen Regionen Deutsch-

lands wurden die Ergebnisse der Panel-Befragung und

der Medienauswertung schließlich im Zusammenhang

und mit den „Betroffenen“ gemeinsam diskutiert. In

diesen Fokusgruppen wurden sowohl Fragen der eigenen

Religiosität, Identität und der Erfahrung, als Muslim in

Deutschland zu leben, als auch Fragen zu politischen

und gesellschaftlichen Themen thematisiert und quali-

tativ ausgewertet.

„So durcheinander zwischen den Welten“: Synopsis

In der Mehrgenerationsfallstudie wurden sechs muslimi-

sche Familien mit jeweils drei Generationen interviewt.

Die erste Generation war im Schnitt 64,7 Jahre, die zweite

Generation durchschnittlich 46,0 und die dritte Genera-

tion 16,8 Jahre alt. Unter den 18 teilnehmenden Personen

waren 12 Frauen. In fast allen Interviews mit den verschie-

denen Generationsmitgliedern zeigte sich einerseits, dass

sich die Interviewten – unabhängig vom Grad ihrer Reli-

giosität und der Integration in die deutsche Gesellschaft –

deutlich vom islamistischen Terrorismus distanzierten.

9

Mit anderen Worten: Islamistischer Terrorismus sei

mit dem Islam nicht vereinbar und schade nur seinem

Ansehen. Andererseits nahmen sie „den Westen“ wegen

seines Umgangs mit der islamischen Welt und den

islamistischen Terrorbedrohungen überwiegend nega-

tiv wahr. Überhaupt wurde die westliche Welt

in ihrer

Beziehung zur islamischen Welt von allen Teilnehmern

durchgehend negativ beurteilt. „Der Westen“ habe kein

wirkliches Interesse an einer Lösung der Konflikte, die

mit islamischen Ländern bestünden, sondern sei daran

interessiert, die eigenen Machtansprüche und wirtschaft-

lichen Interessen durchzusetzen. Unter diesem Aspekt

wurde vor allem das Verhalten der westlichen Truppen in

den Ländern Afghanistan und Irak (v.a. die Gewalt gegen

Zivilisten) besonders stark kritisiert. Auch die deutsche

nichtmuslimische Bevölkerung wurde von den Interview-

ten als distanziert und abweisend beschrieben. Der Islam

und die damit verbundene Lebensweise würden von der

Mehrheitsbevölkerung in Deutschland nicht genügend

akzeptiert.

9 Beispiel für eine solche Aussage (Befragter aus zweiter Generation):

„Die

Person, die ihr Land verteidigt, ist es fair sie Terrorist zu nennen, und den

Dieb, der gekommen ist um das Land zu besetzen, einen Selbstverteidiger

zu nennen? Das ist, was ich meine. Aber die Leute, die um die Welt reisen

und den Tod Unschuldiger in Zügen verursachen, das sind kriminelle Mör-

der, die haben keine Prinzipien.“

Zitat aus einem Interview mit einem jungen Mann aus der

dritten Generation: „Man geht raus, und wenn ich raus-

gehe, sehe, wie jemand trinkt, und jemand macht das und

das, was in meiner Religion verboten ist, und ich sehe das

und manchmal ist man so deprimiert, man ist so fertig, dass

man als Einziger das nicht darf und alle anderen machen

das. Du bist so durcheinander zwischen den Welten.“

Das spiegle sich auch in den (deutschen) Medien wider.

Vor allem die häufig undifferenzierte und übertriebene

mediale Darstellung „der“ Muslime und die in den Medi-

enberichten zu beobachtende generelle Verknüpfung von

Muslimen mit dem Terrorismus schade dem Ansehen der

in Deutschland lebenden Muslime. Deutlich wurde in

den Interviews aber auch der Wunsch, neben einer Integ-

ration in die deutsche Gesellschaft eine muslimische Iden-

tität leben und gestalten zu dürfen.

10

Dass es „die eine Art“ von Muslimen

in Deutschland

nicht gibt, wurde auch in der zweiwelligen telefonischen

Panelbefragung deutlich. Ein großer Teil der befragten deut-

schen und nichtdeutschen Muslime wünschte sich, ihre tra-

ditionelle Herkunftskultur zu bewahren und gleichzeitig die

deutsche Mehrheitskultur zu übernehmen. Einstellungen zur

Integration (im sozialpsychologischen Sinne) waren nach der

Studie bei den Muslimen mit deutscher Staatsangehörigkeit

im Vergleich zu den nichtdeutschen Muslimen am stärksten

ausgeprägt. Die befragten Muslime äußerten im Durch-

schnitt (im Vergleich zu den befragten deutschen Nicht-

muslimen) stärkere Vorurteile gegenüber dem Westen und

gegenüber Juden, stärker ausgeprägte religiös-fundamenta-

listische Einstellungen, stark negative Emotionen gegenüber

demWesten, eine größere Distanz zur Demokratie und eine

höhere Akzeptanz ideologisch fundierter „Gewalt als Mittel

zur Verteidigung gegen die Bedrohung durch den Westen“.

Abbildung 2 illustriert die besagten Unterschiede. Sie

lässt sich folgendermaßen lesen: Während z.B. 17,8 Pro-

zent der deutschen Nichtmuslime ausgeprägte Vorurteile

gegenüber dem „Westen“ äußern, tun dies 45,2 Prozent

der deutschen Muslime (also der Muslime mit deutscher

Staatsangehörigkeit) und 47,1 Prozent der Muslime ohne

deutsche Staatsangehörigkeit (nichtdeutsche Muslime).

10 Interviewbeispiel (ebenfalls von einem Mitglied der dritten Generation):

„Deutschland sagt immer so eh also integrieren sollen sie, äh, also sollen

sie sich und so äh sagen sie, ähm aber also es stimmt, manchmal haben

sie recht, die meisten Menschen integrieren sich wirklich nicht so sehr, äh

sie haben nichts mit den Deutschen zu tun, und sie können kaum Deutsch

sprechen und so, ich verstehe sie sehr gut, aber ich zum Beispiel … also …

ähm um zum Beispiel genau wie sie zu sein, um sich zu assimilieren, muss

man so leben wie sie und also indem ich meine Religion lebe, kann ich

nicht so wie sie äh leben. Es gibt da einen Unterschied zum Beispiel und

ich ähm kann das nicht verändern.“