Table of Contents Table of Contents
Previous Page  39 / 80 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 39 / 80 Next Page
Page Background

39

„Alle Terroristen sind Moslems“?

Einsichten und Perspektiven 4 | 16

oder – bei der Annahme, dass alle terroristischen Grup-

pen, die sich selbst als Kämpfer des IS/

Daesh

bezeich-

nen, tatsächlich Teil dieser terroristischen Organisation

sind – sogar mehrere Gesellschaften zur gleichen Zeit zu

terrorisieren. Unterstützung ist für die Macht und den

Einfluss einer terroristischen Organisation so wichtig,

weil sie für das eigentliche Mittel des Terrorismus, für die

Erzeugung von Terror, entscheidende Bedeutung hat. Je

größer die Unterstützung für eine Organisation ausfällt,

umso aussichtsloser muss der Kampf gegen sie erschei-

nen: Für jeden Terroristen, der gefangen oder getötet,

für jede Zelle, die zerschlagen wurde, melden sich meh-

rere neue Freiwillige, führen mehrere neue Zellen den

Kampf weiter.

21

Analytisch lässt sich Terrorismus durch

vier Merkmale bestimmen: Als politische Gewalt (1), die

Zwang ausübt (2), indem sie Angst und Schrecken (Ter-

ror) verbreitet (3), weil sie grundsätzlich jeden verletzen

und töten kann (4).

22

Von dem

Grande Terreur

zum Terrorismus

Die Geburtsstätte des (modernen) Terrorismus ist das

revolutionäre Frankreich des 18. Jahrhunderts. Die Losung

der Revolution, den Bürgern nicht nur Freiheit und

Gleichheit zu bringen, sondern sie auch zur Brüderlich-

keit zu verpflichten, verwandelte sich zwischen 1793 und

1794 in ein Regime der Angst, des Schreckens, der Unsi-

cherheit und Willkür. Denn die Brüderlichkeit ist, anders

als die bloß rechtliche Freiheit und Gleichheit des Ein-

zelnen, eine Tugend, eine innere Einstellung. Und Maxi-

milien de Robespierre wollte die Menschen umerziehen,

sie zu tugendhaften Bürgern machen. Sein Instrument:

la Grande Terreur

, die Herrschaft von Angst und Schre-

cken. Die Wahl, vor die er die Menschen stellt, war so

einfach wie grausam: Werde ein tugendhafter Bürger oder

stirb! Daher rührt auch der Begriff des Tugendterrors.

Für Robespierre war der Terror darum buchstäblich ein

Mittel der Gerechtigkeit: „Terror ist nichts anderes als

strenge und unbeugsame Gerechtigkeit.“

23

Das Problem

war, dass der Nachweis echter, wahrhaftiger Tugendhaftig-

keit nicht zu führen war. Was umgekehrt bedeutete, dass

21 Entsprechend schätzen wir das Bedrohungspotenzial von radikal-isla-

mischen oder islamistischen Organisationen wie dem IS/

Daesh

heute

so hoch ein, weil sie (auch in den westlichen Gesellschaften) scheinbar

breite Unterstützung genießen und die damit zusammenhängende Ge-

fahr terroristischer Anschläge durch sogenannte „Schläfer“ oder radika-

lisierte und gewaltbereite Konvertiten praktisch nicht zu bannen ist.

22 Bock (wie Anm. 9), S. 20–23.

23 Louise Richardson: Was Terroristen wollen: die Ursachen der Gewalt und

wie wir sie bekämpfen können, Frankfurt am Main 2007, S. 27.

prinzipiell jeder mit seiner Verhaftung und Hinrichtung

rechnen musste. Ein falsches Wort oder der Hinweis eines

missgünstigen Nachbarn genügte. In den 13 Monaten, in

denen die

Grande Terreur

in Frankreich herrschte, wurden

tausende Menschen verhaftet und hingerichtet. Eines der

letzten Opfer war Robespierre selbst: Er wurde am 27. Juli

1794 durch die Guillotine enthauptet. Pierre Vergniaud,

selbst ein frühes Opfer des Tugendterrors, sollte Recht

behalten: „Die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre

eigenen Kinder.“

24

24 Bock (wie Anm. 9), S. 25.

Hinrichtung des Revolutionärs und Führer der Jakobiner, Maximilien de

Robespierre am 27. Juli 1794

Abbildung: ullstein bild/IBERFOTO