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„Alle Terroristen sind Moslems“?
Einsichten und Perspektiven 4 | 16
Zweck, sondern war Teil der religiösen Praxis. Die Waffe
der Thugs war das
rumal
, eine Art gelber Schal, mit dem
sie ihre Opfer erdrosselten. Das Ziel der Zeloten dagegen
war rein politisch. Sie wollten die Herrschaft der Römer
im 1. Jahrhundert n. Chr. beenden. Der Name leitet sich
vom griechischen Wort für Eifer,
zelos,
ab und geht auf
die biblische Gestalt des Pinhas aus dem 4. Buch Mose
zurück. Pinhas, heißt es in Kapitel 25, eiferte für seinen
Gott, als sich die Juden von ihm abzuwenden begannen.
Damit war Gewalt als legitimes Mittel ausgewiesen. Die
Bewegung der Zeloten verstand sich selbst als in dieser
Tradition stehend und damit als durch Gott legitimierte
Widerstandsbewegung, um das Land zu befreien, das Gott
den Juden versprochen hatte.
Während die Zeloten die mehr oder weniger offene
militärische Auseinandersetzung mit der römischen Besat-
zungsmacht suchten – ihr Aufstand wurde 70 n. Chr. mit
der Belagerung Jerusalems praktisch beendet; die letzten
Aufständischen nahmen sich drei Jahre später in der Berg-
festung Masada selbst das Leben, um Sklaverei oder Kreu-
zigung zu entgehen – setzten die
Sicarii
auf das Mittel
des Terrors. Der Name
Sicarii
leitet sich vom lateinischen
sica
für Dolch her. Auch sie wollten die Herrschaft Roms
beenden, aber nicht, indem sie die direkte Auseinander-
setzung mit der Besatzungsmacht suchten, sondern indem
sie die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken versetzten.
Bei öffentlichen Veranstaltungen mischten sich die
Sicarii
unter das Volk, den Dolch unter dem Umhang oder Man-
tel verborgen, um ihre Feinde zu erstechen. Als Feinde
qualifizierten sich dabei Römer, Soldaten wie Bürger, aber
auch Juden, die sich mit der Herrschaft Roms arrangiert
hatten.
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Erfolg aber war letztlich ihnen nicht beschieden.
Religiös motiviert waren auch die Assassinen, die imMit-
telalter im Raum des Vorderen Orients aktiv waren und dort
nicht nur ein Klima der Unsicherheit und Furcht verbreite-
ten, sondern die herrschenden politischen Umstände mas-
siv beeinflussten. Dabei machten sich die Assassinen auch
das Mittel der strategischen Allianz zunutze. Die Bewegung
der Assassinen hat ihren Ursprung im inner-islamischen
Konflikt um die rechtmäßige Nachfolge des Propheten
Mohammed. Erster Kalif, was so viel wie Stellvertreter
heißt, wurde Abu Bakr, auf den sich die Sunniten berufen,
das „Volk der Tradition“
(„ahl as-sunna“),
die heute größte
islamische Glaubensrichtung. EinTeil der islamischen Gläu-
bigen allerdings verweigerte Abu Bakr die Gefolgschaft, da
sie Ali, den Schwiegersohn Mohammeds, für dessen recht-
26 Waldmann (wie Anm. 6), S. 4.
mäßigen Nachfolger hielten. Aus dieser Gruppe, der Partei
Alis
(„Schiatu Ali“)
, entwickelten sich die Schiiten. Hier
kommt dem Imam, dem Führer und Lehrer, der auch der
direkte Vermittler zwischen Allah und der Gemeinde ist,
eine besondere Rolle zu. Seine Aufgabe ist es unter anderem,
einen gerechten Gottesstaat zu verwirklichen. Allerdings war
diese Glaubensrichtung selbst nicht einheitlich; sie war zer-
rissen von unterschiedlichen Strömungen und Auslegungen
des Korans. Um 770 n.Chr. spalteten sich die Anhänger von
Ismail, dem Sohn des 6. Imams, von den Schiiten ab; Aus-
löser war die Enterbung Ismails. Seine Anhänger nannten
sich selbst Ismailiten; ihr radikalster Teil wurde später zu den
Assassinen, die auch wieder mit dem Dolch für die Errich-
tung eines Gottesstaates kämpften.
Im 19. Jahrhundert dann vollzog sich der Wandel der
politischen Gewalt hin zu der Form von Gewalt, die wir
heute als Terrorismus ansprechen. Dazu gehört wesentlich
die, wie es Waldmann formuliert, „Entpersönlichung“
der Gewalt.
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Der Dolch, die über Jahrhunderte typische
Waffe des politischen Attentäters, wurde vom Sprengstoff,
der dezidierte Meuchelmord vom zunehmend willkürli-
cher werdenden Bombenanschlag ersetzt. Die Erfindung
des Dynamits durch Alfred Nobel in der Mitte des Jahr-
hunderts gab den politischen Attentätern, gab dem Ter-
27 Waldmann (wie Anm. 6), S. 49.
Bombenattentat auf den Zaren am 13. März 1881 in Petersburg am Katharinen-
kanal (Gribojedowkanal) auf dem Newkij-Prospekt
Abbildung: ullstein bild