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„Alle Terroristen sind Moslems“?

Einsichten und Perspektiven 4 | 16

Damit finden sich auch hier die oben genannten vier analy-

tischen Elemente wieder. Bei dem

Grande Terreur

handelte

es sich um eine politische Gewalt (1), die die Bürger durch

ein Regime aus Angst und Schrecken (3), vor dem grund-

sätzlich niemand geschützt war (4), zu einem bestimmten

Verhalten (hier: Tugendhaftigkeit) zwingen wollte (2).

Die Problematik im Umgang mit dem Begriff Terro-

rismus ist, dass er im historischen Prozess eine wider-

sprüchliche Wandlung erfahren hat, was die zum Teil

unterschiedlichen Begriffspaare und Begriffsbelegungen

erklärt. Aus dem

Grande Terreur

wurde im 19. Jahrhun-

dert eine Form politischer Gewalt, die sich nicht nur vom

Staat emanzipierte, sondern die sich jetzt auch dezidiert

gegen den Staat und die durch ihn vertretene Ordnungs-

vorstellung wenden sollte. Dies hat für die politikwissen-

schaftliche Betrachtung zur Folge, dass sich am Begriff

Terrorismus zwei unterschiedliche Akteure der politischen

Gewalt festmachen lassen: der Staat und der nicht-staatli-

che, private Akteur. Daher kann sowohl von Terrorismus

als auch von Staatsterror oder, vor allem im angelsächsi-

schen Sprachraum, von

state terrorism,

also Staatsterroris-

mus, die Rede sein. Darauf gehen auch alltagssprachliche

Verwendungen wie Telefon- oder Psychoterror zurück,

die sich von der politischen Zielsetzung gelöst haben und

für extreme Formen der Belästigung stehen.

Auch wenn es der Französischen Revolution vorbehal-

ten war, den Terrorismus als systematische Form brutaler,

willkürlicher politischer Gewalt im öffentlichen Bewusst-

sein zu verankern, so sind die Elemente des Terrorismus

selbst keine moderne Erfindung.

Die Verbreitung von Angst und Schrecken war über die

Jahrhunderte hinweg das erste Mittel der Wahl, um Herr-

schaft zu sichern. Für Thomas Hobbes war es die Angst

vor der Bestrafung

(„terror of legal punishment“ 

25

),

die im

Staat für die notwendige Beachtung der Gesetze sorgte

und damit dem Staat überhaupt erst Bestand verlieh. Diese

Angst vor der Bestrafung greift bereits auf ein weiteres Ele-

ment des Terrorismus vor, der Zerstörung von Sicherheit,

dem Gefühl des Ausgeliefertseins, der Machtlosigkeit. Der

dazu gehörige lateinische Ausdruck ist

territio

, was so viel

wie „Schreckung“ bedeutet und, beispielsweise im Mittel-

alter, das Zeigen der Folterinstrumente meinte. Die

territio

selbst war eine Vorstufe der Folter und sollte den Delin-

quenten durch das Aufzeigen dessen, was ihn erwarten

würde, zum Geständnis zwingen. Wesentlich für die Wir-

kung dieser Maßnahme war natürlich die Hilflosigkeit und

25 Thomas Hobbes: Leviathan 1651, Leicester 1969, S. 377.

Ohnmacht des Gefangenen. So konnte das Demonstrieren

der Instrumente, verbunden mit dem Wissen, dass man

dem Folterknecht ausgeliefert war, allein schon zum Terror

werden. Des Weiteren gehörte zum

terror of legal punish-

ment

auch die Öffentlichkeit der Bestrafung. Das gilt für

die Kreuzigungen im Römischen Imperium ebenso wie für

die Scheiterhaufen zur Zeit der Hexenprozesse oder für die

Hinrichtungen im vorrevolutionären Frankreich. Wenn

der IS/

Daesh

heute seine Hinrichtungen über

Youtube

ver-

breitet, dann ist das weder eine neue, noch eine spezielle

islamistische Praxis, sondern nur die moderne Fortsetzung

einer „gut erprobten“ abendländisch-christlichen Praxis.

Terror war, historisch gesehen, nicht nur ein Mittel

des Staates oder der Machthaber. Auch nicht-staatliche

oder private Gruppen und Akteure haben sich des Terrors

bedient, um ihre Ziele zu erreichen. In der Literatur wer-

den als historische Vorläufer des modernen Terrorismus –

und damit ist gemeinhin gemeint: der anti-staatlichen

Gewalt – häufig die jüdischen Zeloten und

Sicarii

, die

Assassinen und die Thugs genannt. Gemeinsam ist die-

sen Gruppen, dass sie tödliche Gewalt als legitimes Mittel

ansahen. Der Unterschied aber liegt in der mit der Gewalt

verbundenen Zielsetzung.

Während die Zeloten, ihre Splittergruppe, die

Sicarii,

und

Assassinen ein politisches Ziel verfolgten, sprich: eine Ver-

änderung der politischen Ordnung herbeiführen wollten,

töteten die indischen Thugs, Mitglieder einer religiösen

Sekte, die der blutrünstigen Göttin Kali geweiht war, um

des Töten willens. Das Töten verfolgte keinen politischen

Das Westtor der ehemaligen Festung Masada in Israel. Die Sicarii, die sich

gegen die Besatzung der Römer aufgelehnt hatten, flohen vor den Römi-

schen Truppen hierher und begingen Massenselbstmord.

Foto: ullstein bild/Heritage Images/Sites&Photos