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„Alle Terroristen sind Moslems“?
Einsichten und Perspektiven 4 | 16
„Europa steht momentan vor der größten Terrorgefahr seit
mehr als zehn Jahren.“
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Diese Einschätzung der islamisti-
schen Bedrohung von Europol-Direktor Rob Wainwright
deckt sich sowohl mit der öffentlichen Bedrohungsperzep-
tion (Wahrnehmung von Bedrohung) wie auch der poli-
tisch-populistischen Bedrohungskonstruktion:
„Of course
it’s not accepted, but the factual point is that all the terrorists
are basically migrants.”
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Diese Verkürzung sozialer Wirklichkeit durch Ungarns
Ministerpräsidenten Viktor Orbán ist zwar falsch, aber sehr
nah an der „gefühlten“ Wirklichkeit. Einer Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts Pew zufolge fürchtet mindes-
tens die Hälfte der Befragten in acht von zehn Ländern,
dass der Zuzug von Flüchtenden das Risiko terroristischer
Attacken in ihrem Land erhöhen wird. Spitzenreiter ist
Ungarn mit 76 Prozent, gefolgt von Polen (71 Prozent)
sowie Deutschland und den Niederlanden (je 61 Prozent).
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Warum aber ist die Angst vorTerrorismus, oder genauer:
die Angst vor islamistischem Terrorismus so groß? Denn
eine genauere Analyse gesellschaftlicher Gefahren zeigt
zum einen, dass der islamistische Terrorismus tatsäch-
lich eine weitaus geringere Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit Deutschlands oder auch Europas darstellt, als
dies der öffentliche Diskurs – die staatlichen Reaktionen
und die mediale Repräsentation – vermuten lässt. Zum
anderen sind andere Formen von staatlicher wie nicht-
staatlicher Gewalt rechnerisch ein viel größeres Risiko für
die innere wie auch internationale Sicherheit.
Im Folgenden wird – ausgehend von einer Definition
von Terrorismus – die Geschichte des Terrorismus skiz-
ziert und das Funktionsprinzip von Terrorismus darge-
stellt; hier soll insbesondere die perzeptive Dimension
terroristischer Bedrohung betrachtet werden.
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Abschlie-
ßend wird auf den Einfluss bestimmter sozial etablierter
Vorannahmen über den Islam bzw. muslimische Gläubige
auf die spezifisch hohe Wahrnehmung von Bedrohungen
durch den islamistischen Terrorismus eingegangen.
2 Marion Trimborn: Tausende IS-Kämpfer zurückgekehrt: Europol: Größte
Terrorgefahr seit mehr als zehn Jahren,
http://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/672398/europol-grosste-terrorgefahr-seit-mehr-als-
zehn-jahren vom 19.02.2016 ([Stand: 29.04.2016].
3 Matthew Kaminski: All the terrorists are migrants,
http://www.politico.
eu/article/viktor-orban-interview-terrorists-migrants-eu-russia-putin-
borders-schengen/ vom 23.11.2015 [Stand: 01.05.2016].
4 Richard Wike/Bruce Stokes/Katie Simmons: Europeans Fear Wave of
Refugees Will Mean More Terrorism, Fewer Jobs,
http://www.pewglobal.
org/2016/07/11/europeans-fear-wave-of-refugees-will-mean-more-
terrorism-fewer-jobs/ vom 11.07.2016 [Stand: 27.09.2016].
5 Dieser Aspekt wird in der stetig wachsenden Literatur zum Thema Terro-
rismus m.E. bislang zu wenig, wenn überhaupt, berücksichtigt.
Bei den XX. Olympischen Sommerspielen drangen am Morgen des 5. Sep-
tember 1972 acht Angehörige der terroristischen Organisation „Schwarzer
September“ in das Olympische Dorf ein, nahmen elf israelische Sportler und
Trainer als Geiseln und verlangten die Freilassung von 234 palästinensischen
Gefangenen in Israel sowie die Freilassung der RAF-Angehörigen Andreas
Baader und Ulrike Meinhof. Die Befreiungsaktion endete in einer Katastrophe:
Alle israelischen Sportler und Trainer sowie ein deutscher Polizeibeamter und
fünf der arabischen Terroristen wurden getötet.
Foto: ullstein bild/Fotograf: Sven Simon
Was ist Terrorismus?
Intuitiv lautet die Antwort auf diese Frage sicherlich, dass
Terrorismus falsch und verwerflich, ein Verbrechen, Mord
mit politischem Hintergrund sei. Dies entspricht der all-
täglichen Verwendung des Begriffs. Wenn wir sagen, dass
jemand terrorisiert wird, dann lehnen wir diese Handlung
damit als grundsätzlich falsch ab. Darum überrascht es
wenig, dass auch in der Fachliteratur über Terrorismus eine
klare Bewertung vorherrscht. Peter Waldmann schreibt in
„Terrorismus. Provokation der Macht“, dass sich fast alle
Autoren zumindest darin einig seien, dass sich Terrorismus
durch eine „besondere Unmenschlichkeit, Willkür und
Brutalität“
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auszeichne. Wird Terrorismus als Verbrechen
und/oder Mord beschrieben, wie dies in den meisten der
mittlerweile mehr als 150 Definitionen geschieht,
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wird
das Phänomen Terrorismus damit aber noch nicht defi-
niert. Wir bewerten, genauer: Wir verurteilen ihn ledig-
6 Peter Waldmann: Terrorismus. Provokation der Macht, München 1998, S. 11.
7 Cecil Anthony/John Coady: Terrorism, Just War and Supreme Emergency,
in: Cecil Anthony John Coady (Hg.): Terrorism and Justice: A Moral Argu-
ment in a Threatened World, Australia 2003, S. 8–21, hier S. 8.