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„Alle Terroristen sind Moslems“?
Einsichten und Perspektiven 4 | 16
Terrorismus ist die Gewalt einer nicht-staatlichen Gruppe, die
auf ein öffentliches Gut abzielt: Die Abtrennung einer Region,
die Veränderung des politischen oder wirtschaftlichen Systems,
das Ende eines Regimes. Es lassen sich viele Beispiele nen-
nen – die PLO (
Palestine Liberation Organization
, deutsch:
Palästinensische Befreiungsorganisation), ETA (
Euskadi Ta
Askatasuna
, deutsch: Baskenland und Freiheit), RAF (Rote
Armee Fraktion), IRA (
Irish Republican Army
, deutsch: Irisch-
Republikanische Armee), der ANC (
African National Congress
,
deutsch: Afrikanischer Nationalkongress), al Qaida, die tschet-
schenischen Rebellen, die Mudschaheddin in Afghanistan oder
aktuell der IS/
Daesh
.
11
So unterschiedlich die Zielsetzungen
dieser Organisationen auch sein mögen – vom Kampf für
einen eigenen Staat, über denWiderstand gegen ein (angeblich
oder tatsächlich) ungerechtes Regime, bis hin zur regionalen
oder weltweiten Dominanz der eigenen Religion – im Kern
haben all diese Organisationen zwei funktionale Gemeinsam-
keiten: Sie kämpfen erstens alle für politische oder öffentliche
Ziele (und nicht für einen privaten Zweck, wie die Bereiche-
rung durch einen Bankraub), und zweitens gründen sich diese
Ziele alle auf Ideen oder Ideologien, die die jeweilige soziale
und politische Ordnung auf radikale Weise in Frage stellen.
Eine Unterscheidung zwischen politischemund religiösemTer-
rorismus macht m.E. daher keinen Sinn, da es sich um eine
bloße Tautologie handelt: Terrorismus ist eine Form politischer
Gewalt, die auf ein öffentliches Gut abzielt. Ob die Begrün-
dung des Ziels aus einer politischen, religiösen oder sonstigen
Überzeugung folgt, ist für die Charakterisierung der politi-
schen Gewalt alsTerrorismus unerheblich. „IslamistischerTer-
rorismus“ stellt folglich auch keine terroristische Sonderform,
sondern lediglich eine Unterform terroristischer Gewalt dar –
wie auch der links- oder rechtsextremistische Terrorismus.
12
Das Ziel des ANC, das Apartheid-System in Südafrika
abzuschaffen, war so wenig mit der Rassentrennung zu
vereinbaren, wie das Ziel der RAF, die politische und wirt-
schaftliche Ordnung in Deutschland in ein kommunisti-
sches System zu verwandeln, mit dem Deutschen Grund-
gesetz zu vereinbaren war. Und genauso wenig ist das Ziel
11
Daesh
ist ein Akronym für den arabischen Ausdruck
„al-Dawla al-Islamiya
al-Iraq al-Sham“
(Islamischer Staat im Irak und der Levante), zum einen
also lediglich eine andere Formulierung für „Islamischer Staat im Irak und
der Levante“, des ursprünglich noch territorial begrenzten Namens des
„IS“. Zum anderen erinnert
Daesh
an andere arabische Begriffe, die für
„Zwietracht säen“ oder „zertreten“ stehen, und wird vermutlich allein
schon darum vom „IS“ selbst strikt abgelehnt. Und schließlich ist die Ver-
wendung von
Daesh
ein politisches Signal, den Anspruch des „IS“ zurück-
zuweisen: ein Staatsgebilde mit weltweitem Herrschaftsanspruch zu sein.
12 Andreas Bock/Fatma Zan: Immun durch Krieg: Warum militärische Ge-
walt den „Islamischen Staat“ nur stärker macht, in: Zeitschrift für Frie-
dens- und Konfliktforschung 5/1 (2016), S. 117–133, hier S. 119.
des IS/
Daesh
, ein islamistisches Kalifat in möglichst vielen
Ländern zu realisieren, mit den Ordnungsvorstellungen der
fraglichen Länder (aktuell Iraks und Syriens) vereinbar.
13
Die Zusammenstellung der Liste terroristischer Organisa-
tionen – die vomANC über die IRA und RAF bis zu al Qaida
und dem IS/
Daesh
reicht – mag manchen überraschen. Der
ANC sei doch keine terroristischeOrganisation, NelsonMan-
dela keinTerrorist. Tatsächlich gilt der ANC heute gemeinhin
als eine legitime Freiheitsbewegung, die für die Abschaffung
der Rassentrennung in Südafrika gekämpft hat. Dass dabei
auch Gewalt als Mittel des Freiheitskampfes eingesetzt wurde,
ändert nichts an dieser Bewertung. Dennoch galt Mandela,
der Führer der MK
(„Umkhonto We Sizwe“,
deutsch: „Speer
der Nation“), des bewaffneten Arms des ANC, nicht nur in
Südafrika, sondern auch in den USA und Großbritannien
als Terrorist. In den USA wurde Mandela, der Friedensno-
belpreisträger und erste schwarze südafrikanische Präsident,
sogar erst im Juli 2008 von der
Terrorist Watchlist
gestrichen;
eine Tatsache, die selbst US-Präsident George W. Bushs kon-
servative Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice als „beschä-
mend“ kritisierte.
14
Tatsächlich ist die Frage, was Terrorismus
und vor allem wer ein Terrorist ist, in Wissenschaft und Poli-
tik höchst umstritten. Und darum gelten Nelson Mandela,
Jassir Arafat und Menachem Begin
15
in manchen Ländern
als Terroristen, in anderen dagegen als Freiheitskämpfer.
16
13 Vgl. Bock/Zan (wie Anm. 12), S. 119 f.
14 Bock/Zan (wie Anm. 12), S. 17.
15 Wie schon bei Nelson Mandela unterscheidet sich auch die Bewertung der bei-
den politischen Persönlichkeiten wieder fundamental. Der spätere israelische
Ministerpräsident und Außenminister Menachim Begin verantwortete als Kom-
mandeur der radikal-zionistischen
Irgun
den Anschlag auf das King David Hotel
in Jerusalem. Als zum 60. Jahrestags des Anschlags am Hotel eine Gedenktafel
enthüllt wurde, die die Tat als legitimes Mittel des militärischen Kampfes feiert,
protestierten der britische Botschafter Simon Macdonald und der Generalkon-
sul John Jenkins scharf:
„We don’t think it’s right for an act of terrorism to be
commemorated.“
(Bock (wie Anm. 8), S. 92–93) Und Jassir Arafat, Gründer der
militanten
al-Fatah
und langjähriger Vorsitzender der PLO, ist eben nicht nur
Politiker und Friedensnobelpreisträger, sondern auch Terrorist gewesen. Nach
seinem Tod wollte Arafat in der Heiligen Stadt begraben werden, was Israels
damaliger Justizminister Yosef Lapid mit den Worten kommentiert: „In Jerusa-
lem sind jüdische Könige begraben, keine arabischen Terroristen.“ Arafat wurde
in Ramallah im Westjordanland beigesetzt; vgl. Bock (wie Anm. 8), S. 90.
16 Ein anderes Beispiel ist die Unterstützung und Ausbildung der als
Contras
bekannten honduranischen Terroristen durch die USA in den 1980er Jahren.
Die Contras kämpften mit Waffengewalt für die Wiederherstellung der al-
ten diktatorischen Ordnung – einer Konterrevolution, daher auch der Name.
Für US-Präsident Ronald Reagan waren die Contras
„the moral equivalent
of our Founding Fathers“
(vgl. Bock (wie Anm. 8), S. 90), also Freiheitskämp-
fer, keine Terroristen. In Europa sah man das allerdings anders; hier galten
die Contras sehr wohl als Terroristen. Im Konflikt zwischen Contras und
dem nicaraguanischen Staat wurden rund 60.000 Menschen, hauptsächlich
Zivilisten, getötet und die Infrastruktur des Landes weitgehend zerstört. Der
Internationale Gerichtshof befand die USA 1986 schuldig, durch die Unter-
stützung der Contras internationales Recht gebrochen zu haben.