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Der Russische Revolutionszyklus 1905–1932

Einsichten und Perspektiven 2 | 17

Als Irkutsk durch eigene Kraftwerke 1896 Strom erhielt,

schien mit dem technologischen Fortschritt selbst im

entlegenen Sibirien das Zeitalter von Stahl und Strom

begonnen zu haben.

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Mit dieser nachholenden Industria­

lisierung entwickelte sich das russische Imperium immer

mehr zu einemLand der Baumeister, Architekten und Sozial­

technokraten, zu einer „Technik- und Ingenieurswelt im

Pionierzustand“.

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Bei der ersten Weltausstellung 1851 war

Russland vielen Besuchern noch als zutiefst rückständiges

Land erschienen, das seine großen Potentiale nicht nutzte.

Die Selbstdarstellung auf der Pariser Weltausstellung 1900

zeigte dann aber eindrucksvoll, welche Fortschritte das

Land gemacht und wie sehr es schon Fahrt auf seinemWeg

in die Industriemoderne aufgenommen hatte. Bezogen auf

die Produktionskapazitäten war das Zarenreich damals zur

fünftgrößten Industriemacht der Welt aufgestiegen.

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Mit dem Aufbruch in die Industriemoderne gingen

wichtige soziale Prozesse einher, die das gesellschaftliche

36 W. Bruce Lincoln: Die Eroberung Sibiriens. München 1996, S. 303–311 u.

327; Dittmar Dahlmann: Sibirien. Vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart,

Paderborn 2009, S. 177–201.

37 Karl Schlögel: Jenseits des Großen Oktobers. Das Laboratorium der Moderne,

Petersburg 1909–1921, Berlin 1988, S. 117.

38 Dietmar Neutatz: Träume und Alpträume. Eine Geschichte Russlands im

20. Jahrhundert, München 2013, S. 21–25; Mirjam Voerkelius: Russland

und die Sowjetunion auf den Weltausstellungen, in: Martin Aust (Hg.):

Globalisierung imperial und sozialistisch. Russland und die Sowjetunion

in der Weltgeschichte 1851–1991, Frankfurt am Main 2013, S. 207–224.

Gefüge einschneidend veränderten. Der Anteil der Stadt-

bevölkerung verdoppelte sich von der Mitte des 19. Jahr-

hunderts bis 1914 auf nunmehr 18 Prozent. Rechnet man

diejenigen Bewohner stadtähnlicher großer Industrie- und

Gewerbedörfer dazu, erhöhte sich dieser Anteil auf knapp

30 Prozent.

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Seit Ausgang des 19. Jahrhunderts gehörten

Petersburg und Moskau zu den weltweit am schnellsten

wachsenden Großstädten. Die beiden russischen Metro-

polen hatten am Vorabend des Ersten Weltkriegs nach

offiziellen Angaben mehr als 2,3 bzw. 2,0 Mio. Bewohner.

Hier gab es nicht nur eine boomende Industrie, sondern

auch ein lebendiges Kulturleben, deren Errungenschaft

weltweit große Beachtung fanden – beispielsweise das

in Paris Triumphe feiernde

„Ballet russes“

, die russische

Avantgardekunst und das „Silberne Zeitalter“ der russi-

schen Literatur.

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39 Thomas S. Fedor: Patterns of Urban Growth in the Russian Empire During

the Nineteenth Century, Chicago 1975; Guido Hausmann (Hg.): Gesell-

schaft als lokale Veranstaltung. Selbstverwaltung, Assoziierung und Ge-

selligkeit in den Städten des ausgehenden Zarenreiches, Göttingen 2002;

Lutz Häfner: Gesellschaft als lokale Veranstaltung. Die Wolgastädte Ka-

zan‘ und Saratov (1870–1914), Köln 2004.

40 James H. Bater: St. Petersburg. Industrialization and Change, Montreal

1976; Felix Ph. Ingold: Der große Bruch. Russland im Epochenjahr 1913,

München 2000; W. Bruce Lincoln: Sunlight at Midnight. St. Petersburg and

the Rise of Modern Russia, New York 2000; John E. Bowlt: Moskau und St.

Petersburg. Kunst, Leben und Kultur in Russland, 1900-1920, Wien 2008;

Jan Kusber: Kleine Geschichte St. Petersburgs, Regensburg 2009, S. 90–113;

Mark D. Steinberg: Petersburg fin de siècle, New Haven 2011.

Karte: Interfoto/Prof. Mag. Michael Floiger