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Von Elser und seinem Bild in den Augen der anderen
Einsichten und Perspektiven 3 | 15
Warum? Das fragt sich jeder, der sich mit Elser beschäf-
tigt. Warum war er an der Grenze stehengeblieben? Wollte
er der Direktübertragung von Hitlers Rede im Bürgerbräu
lauschen, wollte er wissen, ob sein Anschlag geglückt war?
Aber doch nicht an der Grenze! Warum hatte ihn sein Per-
fektionismus so plötzlich verlassen? Weil es nurmehr um
ihn ging? Wollte er sich gar für seine Tat („den Führer“
umbringen zu wollen) opfern?
Warum hatte er Teile eines Zünders, eine Beißzange,
Aufzeichnungen zu Waffenlieferungen und eine Post-
karte vom Bürgerbräu in der Tasche? Warum steckte das
Rotfrontkämpfer-Abzeichen an seiner Jacke?
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Wollte er
damit erreichen, dass er in der Schweiz politisches Asyl
bekommen hätte? Was übrigens keineswegs sicher war.
Hitler bei der Rede im Bürgerbräu am 8.11.1939
Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand
26 Ebd.
An der Stelle, wo Elser verhaftet wurde, hat die Stadt Konstanz eine
Gedenktafel aufgestellt.
Foto: Hella Schlumberger
Nazi-Legenden
Hitler war nur dadurch dem Anschlag entkommen, weil am
8. November 1939 abends in München Nebel herrschte.
Der Pilot konnte nicht fliegen, Hitler und Entourage muss-
ten den Zug nehmen. Also begann die Rede im Bürgerbräu
früher und hörte früher auf. Dabei ging es vor allem um
Hasstiraden gegen den „Kriegstreiber“ England.
Dreizehn Minuten, nachdem er gegangen war, zündete
Elsers Bombe, legte den Saal in Schutt und Asche. Sieben
tote „alte Kämpfer“ und eine tote Aushilfskellnerin, über
sechzig Verletzte. Während Hitler redete, durfte nicht
bedient werden. Wenn Hitler nicht früher gegangen wäre,
hätte es keine Bedienung getroffen. Auch daran hatte Elser
gedacht.
Beim Halt in Nürnberg erfuhren Hitler und Goeb-
bels vom Anschlag (Göring war auf der Jagd), wollten es
zunächst nicht glauben, bastelten aber schon gleich an
ihrer Legende: Wer nur konnte der Täter sein? Nahelie-
gend war England, das Hitler in seiner Rede ebenso atta-
ckiert hatte.
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Es war perfekt, dass am nächsten Tag, dem
9. November, zwei englische Geheimagenten des Secret
Service, die eigentlich oppositionelle deutsche Militärs in
Venlo treffen wollten, von den Nazis entlarvt und entführt
27 Vgl. Steinbach/Tuchel (wie Anm. 1), S. 52 ff.