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Von Elser und seinem Bild in den Augen der anderen

Einsichten und Perspektiven 3 | 15

November sogar einige Nächte in seiner Werkstatt über-

nachten, da er bei Lehmanns schon gekündigt hatte. 

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Elser hatte sich allen gegenüber als „Erfinder“ vorgestellt,

der an einem Patent arbeite, das ihn einmal reich machen

würde, so hoffe er jedenfalls. Über dreißig Nächte, so sagte

er in den Verhörprotokollen, habe er im Bürgerbräukel-

ler verbracht. 

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Abends gegessen, wohl auch mal ein Bier

zum Tagesgericht getrunken, sich dann unauffällig auf die

Galerie verzogen, in einer Art Besenkammer versteckt,

bis die Wirtschaft geschlossen wurde. 

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Dann begann er

seine Arbeit an der Säule. Die lauteren Arbeiten erledigte

er, wenn alle zehn Minuten die automatische Klospülung

zu hören war. 

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Im Alt-Münchner Saal des Bürgerbräus

war nämlich eine Luftschutztruppe einquartiert, von

denen keiner etwas merken sollte. Wenn er mit seinem

Pensum fertig war, döste er noch bis zum Morgen in der

Kammer. Nicht einmal der Hund des Nachtwächters ver-

riet ihn, weil er ihm immer etwas von seiner Wurst abge-

geben hatte (könnte man vermuten). Früh am Morgen,

wenn der Bürgerbräukeller wieder öffnete, ging Elser ganz

selbstverständlich hinaus, in die Keller- oder die Rosen-

heimer Straße, den Gasteighügel hinunter nach Nord-

westen in die Türkenstraße. Wohl eher durch den Eng-

lischen Garten, um den Nazis und ihren Gebäuden um

Königs- und Karolinenplatz auszuweichen. Welchen Mut

und welche Coolness Elser in dieser Zeit bewies, ist fast

nicht vorstellbar. In den Nächten vom 2. bis 6. November

hatte er die Sprengladung mit Patronen, Zeitzündern und

zwei Uhren eingebaut und fuhr nach Stuttgart zu seiner

Schwester Marie. 

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Den Kontakt mit den Eltern hatte er

komplett abgebrochen. Er ließ bei Marie einige Kleider

und Werkzeuge, sie steckte ihm dreißig Mark zu, als er am

7. November noch einmal nach München fuhr, um sein

Werk zu überprüfen. Sich in der Nacht vor dem Attentat

noch einmal im Bürgerbräu einschließen zu lassen, das

schaffte nur einer mit starken Nerven. Am Morgen des

8. November trank er am Isartorkiosk noch einen Kaffee,

ging zum Bahnhof und stieg in den Zug nach Lindau. 

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Dort nahm er das Schiff nach Konstanz, wollte über die

grüne Grenze in die Schweiz, wurde aber zwanzig Meter

entfernt festgenommen – weil er stehengeblieben war.

20 Verhörprotokolle (wie Anm. 4), S. 187ff. [203 ff.]

21 Ebd., S. 150 ff. [165 ff.].

22 Ebd., S. 152 ff. [167 ff.].

23 Ebd., S. 162 ff. [177 ff.].

24 Verhörprotokolle (wie Anm. 4), S. 187 ff. [203 f.].

25 Ebd., S. 194 f. [210 f.].

Georgs Zimmer in der Türkenstraße (2. Stock, schmales Fenster neben dem

Balkon mit der orangen Markise) in München

Seine Hauswirtin, Rosa Lehmann

Fotos: Hella Schlumberger