Table of Contents Table of Contents
Previous Page  41 / 80 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 41 / 80 Next Page
Page Background

41

Von Elser und seinem Bild in den Augen der anderen

Einsichten und Perspektiven 3 | 15

Gefangener Elser

Als Hitlers „persönlicher Gefangener“ kamElser in die Kon-

zentrationslager Sachsenhausen und Dachau, genoss dort

zwar Vergünstigungen (größere Zellen, besseres Essen, eine

Hobelbank, an der er arbeiten konnte, eine selbergebaute

Zither, auf der er spielen durfte), war aber fünf Jahre kom-

plett isoliert. Was geht schneller, soll er sinngemäß einmal

einen seiner SS-Bewacher gefragt haben, das Erhängen,

das Vergasen oder der Genickschuss?

Am 9. April 1945 wurde Georg Elser vor dem Krema-

torium im KZ Dachau erschossen und sofort in seinen

Kleidern verbrannt, weil das, was mit ihm geplant war und

wofür man ihn am Leben gelassen hatte: der große Schau-

prozess gegen ihn und sämtliche angeblichen Hintermän-

ner des Attentats nach dem „Endsieg“ nun wohl nicht mehr

stattfinden würde.

Georg Elser hat kein Grab, außer einem symbolischen

auf einem Friedhof bei Königsbronn.

Das Bild Georg Elsers in Nachkriegsdeutschland

Der Krieg war zu Ende, die großen Städte zerstört, Deutsch-

land von den Alliierten besetzt, die Entnazifizierung

Deutschlands begann. Jeder gab sich alle Mühe, höchstens

als „Mitläufer“ eingestuft zu werden. Ein so leuchtendes

Beispiel des aktiven Widerstands gegen Hitler wie das

von Georg Elser (wenn man es gewusst hätte) konnte

man einfach nicht gebrauchen. Elsers Tat war lange Zeit

tot geschwiegen, in der Bundesrepublik wie in der DDR,

in der Verlängerung der nationalsozialistischen Legende

anderen zugeschrieben oder einfach verurteilt worden.

Sogar Historiker 

35

beriefen sich gern auf Quellen, die sich

als höchst zweifelhaft herausstellten:

Payne Best, einer der beiden entführten englischen

Spione, behauptete in seinem Buch

„The Venlo Inci-

dent“

(London 1950): Er habe, selbst Gefangener im

KZ Sachsenhausen, zwei Jahre lang Kassiber mit Elser

getauscht. Es stellte sich heraus, dass er ihn wohl nur

einmal kurz im Waschraum gesehen hatte. Seine These

war: Die „alten Kämpfer“, Hitlers Mitputschisten von

1923, hätten Elser mit dem Attentat beauftragt. 

36

Walter Uslepp, ein SS-Wachmann ebenfalls im KZ Sach-

senhausen, behauptete keck: Hitler und Himmler hätten

Elser mit dem Attentat beauftragt.

37

Aber am erstaunlichsten und unglaublichsten ist

heute die Haltung des Pfarrers Martin Niemöller, der,

als Angehöriger der „Bekennenden Kirche“, ebenfalls

KZ-Gefangener war: Elser sei – behauptete er – SS-

Unterscharführer gewesen und habe den Anschlag

auf persönlichen Befehl Hitlers ausgeführt. 

38

Er

ließ sich auch durch einen Briefwechsel mit Elsers

Mutter 1946 nicht umstimmen, er blieb bei dieser

Behauptung, die er angeblich von Elsers Bewachern

erfahren habe, sein Leben lang. 

39

Die Gerüchte, die

über Elser kursieren, werden heute mehrheitlich als

„Lagerklatsch“ eingeordnet. 

40

Vielleicht waren es

die Vergünstigungen in der Gefangenschaft, die die

Gerüchte über Elser haben ins Kraut schießen lassen

und Gefangenen und Wächtern Gelegenheit boten,

sich wichtig zu machen.

Am weitsichtigsten, was Elsers Charakter und die Ein-

schätzung seiner Tat betraf, war der Mann, der ihn ver-

hört hatte: Kriminaldirektor Arthur Nebe. 

41

Dieser – ein

für viele in Russland verübte Verbrechen verantwortlicher

Nationalsozialist – hatte, vielleicht sogar durch die Ver-

höre mit Elser angeregt, Kontakt zu den Männern des

20. Juli aufgenommen, wurde entdeckt und im Strafge-

fängnis Plötzensee gehängt. 

42

Elser soll es in Sachsenhau-

sen von einem seiner Wachleute erfahren haben. Nebe

hatte Folgendes seinem Freund Bernd Gisevius über Elser

gesagt: 

43

„Und du wirst sehen, den Mann machen sie noch hin-

terher fertig: den schweigen sie tot […]. Dieser Mann

aus dem Volke liebte das einfache Volk; er legte mir lei-

denschaftlich und in simplen Sätzen dar, Krieg bedeute

für die Massen aller Länder Hunger, Elend und millio-

nenfachen Tod. Kein ‚Pazifist‘ in üblichem Sinne, dachte

er ganz primitiv: Hitler ist der Krieg und wenn dieser

Mann weg ist, dann gibt es Frieden. Gerade deswegen

werden deine feinen Leute nichts von ihm wissen wollen,

auch nicht hinterher. […]… Sie haben übrigens ganz

35 Zit. nach Steinbach/Tuchel, S. 93 ff.

36 Ebd.

37 Ebd.

38 Ebd.

39 Sein Sohn wiederholte diese Thesen auch gegenüber der Autorin.

40 Aussage Barbara Distel, frühere Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, ge-

genüber der Autorin.

41 Nebe war seit 1937 Chef des Reichskriminalpolizeiamtes und führte

unter anderem 1941 die Einsatzgruppe B der Sicherheitspolizei und des

Sicherheitsdienstes in der Sowjetunion, vgl. auch

http://www.deutsche- biographie.de/sfz70833.html

[Stand: 18.09.2015].

42 Zit. nach Steinbach/Tuchel, S. 101 ff.

43 Bernd Gisevius: „Wo ist Nebe? Erinnerungen an Hitlers Reichskriminal-

direktor“, Zürich 1966, zit. nach. Steinbach/Tuchel (wie Anm. 1); S. 101.