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Von Elser und seinem Bild in den Augen der anderen

Einsichten und Perspektiven 3 | 15

Der Umgang mit Elser

Zum 50. Jahrestag des Attentats hatte sich ein Historiker,

Lothar Fritze, mit einem seltsam elserkritischen Artikel

in der Frankfurter Rundschau (FR) zu Wort gemeldet. 

50

Die FR, historisch eigentlich ein Organ der Linken,

veröffentlichte eine ganze Seite darüber, dass Elsers Tat

moralisch nicht zu rechtfertigen sei. Als „Durchschnitts-

bürger“ habe Elser im Jahr 1938 gar nicht wissen können,

ob Hitler einen Krieg anstrebe. Er hätte am 8. November

1939 neben der Säule mit der Höllenmaschine stehen

müssen und wenn er gesehen hätte, dass Hitler vor der

Zeit aufbrach, hätte er Bombenalarm auslösen müssen.

Und weil er das nicht getan habe, müsse man ihn auch

nicht besonders ehren. Viele Elserforscher stürzten sich

geradezu auf den Text, widerlegten ihn wortreich in den

verschiedensten Medien. Zehn Jahre später legte Fritze

noch einmal nach und rückte Elsers Tat sogar in die Nähe

linksextremer Terroranschläge wie die der RAF. 

51

Wer sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts über Elser

informieren wollte, konnte es leicht tun, fand Material,

fand Gleichgesinnte. Es fanden sich freilich auch „Gleich-

gesinnte“ im rechten bis rechtsradikalen Spektrum: 2009

erschienen bei der Einweihung des Elser-Denkmals in

München Demonstranten und beklagten – acht Teelich-

ter in der Hand haltend – scheinheilig die acht Toten des

Attentats. Und die 50 Millionen Opfer des Regimes? Das

könne man nicht vergleichen, behaupteten sie frech, bevor

sie endlich von der Polizei abgedrängt wurden.

Im 21. Jahrhundert ist Elser angekommen bei denen,

die es wollen. Seine Tat ist bekannt, der Name mit der

Tat verbunden. Trotzdem ist es manchen immer noch lie-

ber, Elser als „Werkzeug“ zu sehen und nicht als selbst-

bestimmten Widerstandskämpfer, der die Mehrheit des

deutschen Volkes blass aussehen lässt.

Ja, man hätte wissen können, was Hitler vorhatte, ja,

man hätte auch etwas dagegen tun können. Ohne Militär

oder Intellektueller zu sein. Der Historiker Joseph Peter

Stern hat es am treffendsten ausgedrückt: Hitlers wahrer

Antagonist war Georg Elser. 

52

Sorgloser Umgang mit Elserdaten

Trotzdem, auch heute noch, fällt, wenn es um das Thema

Elser geht, der unsensible und sorglose Umgang mit den

Daten und Fakten auf – anders als bei der „Weißen Rose“

und dem „20. Juli“.

Das fängt mit dem Namen an. Da heißt er „Elsner“ oder

„Elstner“, gar „Eisler“ oder „Eisner“. Da wird das Attentat

auf den 9. November geschoben. Da wird schon einmal

sein Beruf mit „Uhrmacher“ angegeben, da wird behaup-

tet, er habe die Bombe in München gebaut oder er sei am

9. April 1945 im KZ Dachau „hingerichtet“ worden. Dabei

wurde er ohne Prozess und Gerichtsurteil ermordet.

Da wurde lange Zeit als einziges Elser-Foto das Porträt

des Gefolterten verwendet, das von den Nazis fotografiert

worden war.

Da wird er übergangen, wie etwa bei der 2013 eröff-

neten ständigen Ausstellung im ehemaligen Wittelsbacher

Palais, heute Sitz der Bayerischen Landesbank, Ecke Tür-

ken/Briennerstraße. Im Schaufenster wird die Geschichte

des Ortes erzählt. Genau an diesem Ort, der Gestapo-

Verhörzentrale, war Elser gefoltert worden und hatte sein

Geständnis abgelegt. Die Geschwister Scholl, ebenfalls

dort verhört, tauchten in der Fotodokumentation der

Ausstellung selbstverständlich auf. Elser nicht. Erst nach

Anfragen und Protesten wurde dies vom Institut für Zeit-

geschichte korrigiert. Seit Ende 2013 ist jetzt auch Elser in

Wort und Bild im Schaufenster zu sehen.

Fünf Jahre zuvor hatte die Unibibliothek in München

eine Ausstellung über den Widerstand gegen die Nazis in

den Schulbüchern von DDR und Bundesrepublik zusam-

mengestellt. Wer fehlte? Georg Elser. Wohl weil er keinem

System so richtig passte, weil er unabhängig nur seinem

Gewissen folgte. Auch 18 Jahre nach der Einweihung des

Georg-Elser-Platzes findet man ihn 2015 im offiziellen

Stadtportal der Landeshauptstadt München – nicht.

Die Wertung des Attentats

Die pejorative Wertung der Tat Elsers als eines „missglück-

ten Attentats“ ist immer noch häufig zu hören. Das Attentat

war nicht „missglückt“, die Adressaten waren eben schon

gegangen. Elser hatte keinen Fehler gemacht.

Der ganze deutsche Widerstand ist schließlich „miss-

glückt“, er war nicht fähig, das NS-Regime zu stürzen.

Georg Elser war am nächsten dran. Ihm gebührt der Platz

neben der „Weißen Rose“ und dem „20. Juli“.

Es gibt noch viel in Sachen Elser zu tun. Vielleicht reizt

es Sie ja mit anzupacken.

50 Lothar Fritze: Die Bombe im Bürgerbräukeller, Antrittsvorlesung 1999, vgl.

Frankfurter Rundschau vom 08.11.1999.

51 Zit. nach Steinbach/Tuchel (wie Anm. 1), S. 108 ff.

52 Vgl. Joseph Peter Stern: Der Mann ohne Ideologie. Georg Elser – Hitlers

wahrer Antagonist, FAZ vom 04.11.1978.