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Kain denk mal – böse
Einsichten und Perspektiven 3 | 15
Der Weg Böses bis Entebbe
Schulzeit in Bamberg und Ansbach.
Wilfried Böse wurde am 7. Februar 1948 in Bad Cann-
statt bei Stuttgart geboren und wuchs in Bamberg als
einziger Sohn eines Elektroingenieurs und einer Haus-
frau und Tagesmutter behütet auf.
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Bei der Betreuung
der Tages-Kinder unterstützte er seine Mutter bereits als
Jugendlicher und wurde auch sonst als sozial umgänglich
und engagiert wahrgenommen. Erst besuchte er die Ober-
realschule, ab dessen Gründung 1965 dann das Dient-
zenhofer-Gymnasium (DG). Am DG vertrat er Anliegen
der Mitschüler als Klassensprecher auch dem Direktorat
gegenüber offenbar sehr selbstbewusst und entwickelte
einen ausgeprägten eigenen Stil (Tragen langer schwarzer
Mäntel, Arztkoffer als Schultasche etc.). Bei den Lehrkräf-
ten kam er unterschiedlich an: je nach Betrachtungsweise
galt er als faul, frech und aufmüpfig oder als engagiert,
eigenständig und reflektiert. Die kurze Hose beim Skikurs
oder die Regieübernahme beim schulischen Wandertag
mit Bierwagen geben davon ein Bild.
Früh war seine links ausgerichtete politische Einstellung
bekannt; an der entstehenden „Bamberger APO“ nahm er
aber kaum aktiv teil und wurde von deren Protagonisten
auch später nur vage wahrgenommen – und wenn, dann
eher als geltungsbedürftiges „Babyface“
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denn als ernst
zu nehmend. Alle Personen aus Böses Schultagen sind
sich jedenfalls einig, dass nichts seine spätere terroristische
Karriere angedeutet habe.
Etwa zur Mitte des Schuljahres 1966/67 verließ Wil-
fried Böse das Dientzenhofer-Gymnasium und wechselte
nach Ansbach. Dort besuchte er für eineinhalb Jahre bis
zum Abitur 1968 das Platen-Gymnasium und wohnte im
Alumneum, einem Internat. Welche Ursachen gab es hier-
für? Welchen Beitrag hat die Schule zu diesem Wechsel
geleistet?
Erst nach langem Suchen wurde im Rahmen des
P-Seminars das entscheidende Protokoll einer Sitzung
des Disziplinarausschusses der Schule aus demNovember
1966 entdeckt. Daraus geht hervor, dass Böse mehrere
Tage die Schule geschwänzt und dafür Entschuldigun-
gen gefälscht hatte – ein durchaus häufig vorkommen-
des Vergehen, das üblicherweise mit der Androhung der
Entlassung sanktioniert wird. Offenbar kamen Böses
Eltern dieser Drohung zuvor und entschieden sich selbst
für einen Schulwechsel – Böse wurde also nicht von der
Schule verwiesen. Im Hintergrund dieses Vorfalls stand
offenbar eine Kontroverse mit einem Direktoratsmitglied,
das Böses Bestrafung wohl intensiv betrieb. Nach prob-
lematischen Auseinandersetzungen entschlossen sich die
Eltern nach eigener Aussage, ihren Sohn auf eine andere
Schule zu schicken.
Die Szenerie ist für die damalige Zeit nicht untypisch:
Das Kollegium des Dientzenhofer Gymnasiums vertrat
zu einem Teil den „alten“, autoritären, konservativen
Erziehungsstil, der von den werdenden 68ern zuneh-
mend kritisiert wurde; viele jüngere Kollegen dagegen
ermunterten die Schüler dazu, einen eigenen Standpunkt
zu finden, selbständig zu denken und eigene Positionen
und Forderungen auch selbstbewusst und entschieden zu
vertreten.
Böse war in diesem Zusammenhang ein Schüler, der
sich im Sinne vieler heutiger Kollegen entwickelte: Er war
engagiert, eigenständig, reflektiert und vertrat seine und
die Interessen seiner Mitschüler selbstbewusst – rein posi-
tiv betrachtet könnte man zusammenfassen: von außen
besehen ein Beispiel für Zivilcourage. Die problematische
Entwicklung eines eigentlich begabten Schülers wurde
hier möglicherweise in einem Konflikt mit einer konser-
13 Diese und die folgenden privaten Informationen gehen auf ein persönli-
ches Gespräch des Autors mit den Eltern Wilfried Böses zurück.
14 So einer der Hauptakteure der Bamberger linken Szene der APO-Zeit. Die
Gesprächspartner sind in den Ausstellungen dokumentiert.
Vom ehemaligen Bamberger Dieter Kunzelmann mit initiiert: Das sogenannte
Ebracher Knast-Camp im Juli 1969 nahe Bamberg, bei dem sich viele spätere
Terroristen ein Stelldichein gaben. Links Tommy Weissbecker, sitzend mit
nacktem Oberkörper Georg von Rauch, in der Mitte Fritz Teufel, neben ihm
stehend Irmgard Möller. Auch Ensslin und Baader waren in Ebrach dabei, nicht
aber – zumindest unseres Wissens nach – Böse. Kunzelmann brach vom Camp
aus mit einigen Freunden als erste deutsche Gruppe zur paramilitärischen
Ausbildung in arabisches Gebiet (Jordanien) auf.
Foto: Werner Kohn