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Kain denk mal – böse

Einsichten und Perspektiven 3 | 15

gegen die angeblich faschistische Bundesrepublik aus – eine

heftige Übertreibung, der auch Böse anhing.

Seine linke politische Einstellung teilte er – dem Zeit-

geist entsprechend – mit vielen Mitbewohnern und -schü-

lern und fiel deswegen in dieser Hinsicht keineswegs als

besonders radikal auf. Manche Lehrer, zum Beispiel sein

Kunstlehrer, nahmen Böse als „sehr reif, auch in künstle-

rischer Hinsicht gebildet, und interessiert“ wahr. Böse sei

rhetorisch sehr gewandt gewesen; wenn er sich geärgert

habe, habe er nicht die Kontrolle verloren, sondern süffi-

sant gelächelt. Bei den Mitschülern hinterließ er Eindruck

durch den Kleidungsstil und durch eine zurückhaltende,

dann aber entschiedene und reife Art des Auftretens. Er

stand der Redaktion der Schülerzeitung sehr nahe. Sowohl

in Bamberg als auch in Ansbach scheint er nicht mehr viele

Kontakte aufrechterhalten zu haben – fast alle Gesprächs-

partner des Projekts haben ihn nach dem jeweiligen Weg-

gang von der Schule aus den Augen verloren.

Im Herbst 1968 nahm Böse ein Studium der Pädago-

gik, Politologie und Soziologie in Freiburg im Breisgau auf,

wechselte aber schnell mit einigen Freunden, um die „Frank-

furter Schule“ direkt zu erleben, an die dortige Universität.

Radikalisierung in terroristischen Netzwerken

In Frankfurt rückte das Studium allerdings wohl schnell in

den Hintergrund. Diese Frankfurter Zeit (1969–1975) ist

geprägt durch unterschiedliche, miteinander verknüpfte

Aktivitätsstränge, die im Folgenden je für sich genannt

werden:

K.D. Wolff und der Verlag Roter Stern

Entscheidend war in Frankfurt die Begegnung mit K.D.

Wolff, der 1967/68 Bundesvorsitzender des SDS war. Wolff

vertrat eine sehr eigenständige, markante linke politische

Position, mit der er z.B. sowohl bei den IX. Weltjugendspie-

len des Ostblocks in Sofia als auch bei einem USA-Besuch

heftig aneckte. Er war entscheidend beteiligt am

Black-Pan-

ther-

Solidaritätskomitee, nahm Andreas Baader und Gud-

run Ensslin nach deren Haftverschonung im Anschluss an

ihre Frankfurter Kaufhausbrandstiftung für die erste Nacht

in seine Wohnung auf, 

18

hat wohl auch später die RAF

unterstützt – und Böse war bei alledem anscheinend von

Anfang an dabei. 

19

Beide begründeten den Verlag Roter

Stern mit – Böse kaufte später das Gebäude in der Holz-

hausenstraße, das heute noch das Nachfolgeunternehmen

beherbergt, und übernahm viele geschäftliche Aufgaben;

hierin zeigte er schnell großes Geschick. Im Verlagsgebäude

bezog nicht nur Wolff für einige Zeit Wohnung; auch Böse

und Kuhlmann wohnten hier zeitweilig als Paar neben

Magdalena Kopp, die anfangs mit dem Verlagsmitarbeiter

Michel Leiner, später mit Johannes Weinrich (auch für den

Verlag tätig) und zuletzt (nach Böses Tod) mit Ramírez Sán-

chez („Carlos“) liiert war. 

20

Der Verlag verbreitete kommunistische Literatur und

zeigte anfangs ausgeprägte Sympathien für das kommu-

nistische System Nordkoreas, wohin Wolff und wohl auch

Böse je einmal reisten. Kritische Reflektionen über den

„real existierenden“ Steinzeitkommunismus blendeten sie

aber offensichtlich aus.

Black Panther

Das „Solidaritätskomitee“ für die radikal sozialistisch und

auf die Rechte der Schwarzen ausgerichteten

Black Pan-

ther

beherbergte Vertreter der amerikanischen Bewegung

und organisierte Vorträge in Deutschland. Bemerkenswert

ist, dass in derselben Ausgabe der linken Zeitschrift „Agit

883“ nicht nur der ehemalige Bamberger Dieter Kunzel-

mann mit seinem berüchtigten „Brief aus Amman“ eine

Spur hinterließ, sondern auch Böse – zumindest indirekt

in einem Artikel über die

Black Panther Party

, in dem auf

das Frankfurter „Solidaritätskomitee“ hingewiesen wird,

das Böse mitbegründet hatte. 

21

Kopp schildert, dass ihr Auto – wohl ohne ihr Wis-

sen – für einen Einbruchsversuch in einer amerikanischen

Kaserne zur Waffenbeschaffung genutzt wurde. 

22

Ameri-

kanische Soldaten, die zur

Black-Panther-Party

gehörten

und diesen und weitere Diebstähle begingen, sowie das

Auftauchen einiger dabei gestohlener Waffen bei späteren

linksterroristischen Anschlägen in ganz Europa deuten

stark darauf hin, dass Wilfried Böse der Vermittler und

Verbreiter dieser Waffen war – Beweise dafür gibt es zwar

nicht, aber starke Indizien. Böse zeigte schon hier, was ihn

durchgängig zu einem sehr „professionellen“ Terroristen

machte: Organisationsgeschick, Geschäftssinn und ein

sehr ausgeprägtes Talent zur Konspiration.

18 Wolfgang Kraushaar: Im Schatten der RAF. Zur Entstehungsgeschichte der

Revolutionären Zellen, in: Die RAF und der linke Terrorismus, Bd. 1, hg. v.

Wolfgang Kraushaar, Hamburg 2006, S. 583–601. Hier vor allem S. 585 f.

19 Vgl. auch Koenen (wie Anm. 2), S. 338.

20 Vgl. Kopp, passim (wie Anm. 23).

21 Agit 883, Nr. 42 vom 27.11.1969: Kunzelmanns „Brief aus Amman“ findet

sich auf S. 5; Titelthema sind die

„Black Panther“

mit der entsprechenden

Frankfurter Postfach-Adresse auf S. 2.

22 Magdalena Kopp: Die Terrorjahre. Mein Leben an der Seite von Carlos,

2München 2007, S. 51 f. Vergleiche dazu auch: Verbrechen: Perle im

Dreck, in: Der Spiegel 34/83 vom 22.08.1983, S. 66.