52
Kain denk mal – böse
Einsichten und Perspektiven 3 | 15
gegen die angeblich faschistische Bundesrepublik aus – eine
heftige Übertreibung, der auch Böse anhing.
Seine linke politische Einstellung teilte er – dem Zeit-
geist entsprechend – mit vielen Mitbewohnern und -schü-
lern und fiel deswegen in dieser Hinsicht keineswegs als
besonders radikal auf. Manche Lehrer, zum Beispiel sein
Kunstlehrer, nahmen Böse als „sehr reif, auch in künstle-
rischer Hinsicht gebildet, und interessiert“ wahr. Böse sei
rhetorisch sehr gewandt gewesen; wenn er sich geärgert
habe, habe er nicht die Kontrolle verloren, sondern süffi-
sant gelächelt. Bei den Mitschülern hinterließ er Eindruck
durch den Kleidungsstil und durch eine zurückhaltende,
dann aber entschiedene und reife Art des Auftretens. Er
stand der Redaktion der Schülerzeitung sehr nahe. Sowohl
in Bamberg als auch in Ansbach scheint er nicht mehr viele
Kontakte aufrechterhalten zu haben – fast alle Gesprächs-
partner des Projekts haben ihn nach dem jeweiligen Weg-
gang von der Schule aus den Augen verloren.
Im Herbst 1968 nahm Böse ein Studium der Pädago-
gik, Politologie und Soziologie in Freiburg im Breisgau auf,
wechselte aber schnell mit einigen Freunden, um die „Frank-
furter Schule“ direkt zu erleben, an die dortige Universität.
Radikalisierung in terroristischen Netzwerken
In Frankfurt rückte das Studium allerdings wohl schnell in
den Hintergrund. Diese Frankfurter Zeit (1969–1975) ist
geprägt durch unterschiedliche, miteinander verknüpfte
Aktivitätsstränge, die im Folgenden je für sich genannt
werden:
K.D. Wolff und der Verlag Roter Stern
Entscheidend war in Frankfurt die Begegnung mit K.D.
Wolff, der 1967/68 Bundesvorsitzender des SDS war. Wolff
vertrat eine sehr eigenständige, markante linke politische
Position, mit der er z.B. sowohl bei den IX. Weltjugendspie-
len des Ostblocks in Sofia als auch bei einem USA-Besuch
heftig aneckte. Er war entscheidend beteiligt am
Black-Pan-
ther-
Solidaritätskomitee, nahm Andreas Baader und Gud-
run Ensslin nach deren Haftverschonung im Anschluss an
ihre Frankfurter Kaufhausbrandstiftung für die erste Nacht
in seine Wohnung auf,
18
hat wohl auch später die RAF
unterstützt – und Böse war bei alledem anscheinend von
Anfang an dabei.
19
Beide begründeten den Verlag Roter
Stern mit – Böse kaufte später das Gebäude in der Holz-
hausenstraße, das heute noch das Nachfolgeunternehmen
beherbergt, und übernahm viele geschäftliche Aufgaben;
hierin zeigte er schnell großes Geschick. Im Verlagsgebäude
bezog nicht nur Wolff für einige Zeit Wohnung; auch Böse
und Kuhlmann wohnten hier zeitweilig als Paar neben
Magdalena Kopp, die anfangs mit dem Verlagsmitarbeiter
Michel Leiner, später mit Johannes Weinrich (auch für den
Verlag tätig) und zuletzt (nach Böses Tod) mit Ramírez Sán-
chez („Carlos“) liiert war.
20
Der Verlag verbreitete kommunistische Literatur und
zeigte anfangs ausgeprägte Sympathien für das kommu-
nistische System Nordkoreas, wohin Wolff und wohl auch
Böse je einmal reisten. Kritische Reflektionen über den
„real existierenden“ Steinzeitkommunismus blendeten sie
aber offensichtlich aus.
Black Panther
Das „Solidaritätskomitee“ für die radikal sozialistisch und
auf die Rechte der Schwarzen ausgerichteten
Black Pan-
ther
beherbergte Vertreter der amerikanischen Bewegung
und organisierte Vorträge in Deutschland. Bemerkenswert
ist, dass in derselben Ausgabe der linken Zeitschrift „Agit
883“ nicht nur der ehemalige Bamberger Dieter Kunzel-
mann mit seinem berüchtigten „Brief aus Amman“ eine
Spur hinterließ, sondern auch Böse – zumindest indirekt
in einem Artikel über die
Black Panther Party
, in dem auf
das Frankfurter „Solidaritätskomitee“ hingewiesen wird,
das Böse mitbegründet hatte.
21
Kopp schildert, dass ihr Auto – wohl ohne ihr Wis-
sen – für einen Einbruchsversuch in einer amerikanischen
Kaserne zur Waffenbeschaffung genutzt wurde.
22
Ameri-
kanische Soldaten, die zur
Black-Panther-Party
gehörten
und diesen und weitere Diebstähle begingen, sowie das
Auftauchen einiger dabei gestohlener Waffen bei späteren
linksterroristischen Anschlägen in ganz Europa deuten
stark darauf hin, dass Wilfried Böse der Vermittler und
Verbreiter dieser Waffen war – Beweise dafür gibt es zwar
nicht, aber starke Indizien. Böse zeigte schon hier, was ihn
durchgängig zu einem sehr „professionellen“ Terroristen
machte: Organisationsgeschick, Geschäftssinn und ein
sehr ausgeprägtes Talent zur Konspiration.
18 Wolfgang Kraushaar: Im Schatten der RAF. Zur Entstehungsgeschichte der
Revolutionären Zellen, in: Die RAF und der linke Terrorismus, Bd. 1, hg. v.
Wolfgang Kraushaar, Hamburg 2006, S. 583–601. Hier vor allem S. 585 f.
19 Vgl. auch Koenen (wie Anm. 2), S. 338.
20 Vgl. Kopp, passim (wie Anm. 23).
21 Agit 883, Nr. 42 vom 27.11.1969: Kunzelmanns „Brief aus Amman“ findet
sich auf S. 5; Titelthema sind die
„Black Panther“
mit der entsprechenden
Frankfurter Postfach-Adresse auf S. 2.
22 Magdalena Kopp: Die Terrorjahre. Mein Leben an der Seite von Carlos,
2München 2007, S. 51 f. Vergleiche dazu auch: Verbrechen: Perle im
Dreck, in: Der Spiegel 34/83 vom 22.08.1983, S. 66.