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Kain denk mal – böse
Einsichten und Perspektiven 3 | 15
der die Polizei benachrichtigt hatte, „schwer getroffen“
hatte. Ihre Motivation, zumindest Ulrike Meinhof zu
befreien, war sehr hoch und wurde wohl von Wilfried
Böse geteilt. Vielleicht war dies auch der Grund, warum
Böse schon 1972 Hilfsdienste für die Olympia-Attentäter
in München leistete – so hat er selbst es nach der Aus-
sage von Hans-Joachim Klein zumindest behauptet.
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Es
gibt keine Belege für die Beteiligung Böses am Olympia-
Attentat, immerhin aber weitere kleine Indizien – unter
anderem seine später sehr engen Kontakte zu Wadi Had-
dad.
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Revolutionäre Zellen/RZ
Die „RZ“-Gruppierung wurde wohl 1973 gegründet; alle
oben genannten Mitarbeiter des Verlags Roter Stern bzw.
der Gaiganzer Druckerei wurden Mitglieder mit Aus-
nahme von K.D. Wolff und Michel Leiner. Die neue, ter-
roristisch ausgerichtete Gruppe arbeitete höchst konspi-
rativ; in Aktionen wurde nur näher eingeweiht, wer auch
wirklich beteiligt war. Mit diesem Stil unterschied sich die
RZ vor allem von der RAF – die Handschrift Böses ist
klar erkennbar. Eine in Deutschland aktive Gruppe ver-
übte Anschläge gegen Fahrkartenautomaten, Sexläden,
Botschaften diktatorisch regierter Länder (z.B. auf die chi-
lenische Botschaft im Juni 1974); gewichtiger aber wurde
die international aktive Gruppe, die sich eng der PFLP-
SC anschloss.
Zusammenarbeit mit der PFLP-SC
Spätestens ab dem Beginn des Jahre 1975 kooperierte der
europäische Zweig der PFLP-SC unter Michel Mourkabel
und seinem Adlatus Sanchez eng mit der RZ: Für einen
Anschlag auf dem Pariser Flughafen Orly hatte Johannes
Weinrich das Auto gemietet; man bespitzelte gemeinsam
in London ein mögliches Entführungsopfer. Als Sanchez
sich im Sommer von Mourkabel verraten fühlte und nicht
nur diesen, sondern auch zwei französische Polizisten
erschoss und einen weiteren schwer verletzte, hatte Wil-
fried Böse großes Glück: Er war der französischen Polizei
kurz zuvor als Begleiter Mourkabels aufgefallen und ver-
haftet worden. Bei seiner Auslieferung nach Deutschland
konnte die deutsche Polizei mit Böse nichts anfangen und
ließ ihn wieder frei – kurz bevor Ramírez Sánchez/„Carlos“
in Paris das genannte Blutbad anrichtete. Aus der kurzen
Untersuchungshaft stammt das Fahndungsbild Böses, das
bisher das einzige Bild von ihm ist, das für die Zeit nach
1968 auffindbar war. Nach Carlos’ Morden war Böse nun
aber auch in Deutschland zur Fahndung ausgeschrieben
und musste sich außerhalb des Landes verstecken. Dennoch
ging er mit Sanchez/„Carlos“ im Dezember 1975 nach
Wien und war dort entscheidend an der Vorbereitung des
Überfalls auf die OPEC-Konferenz beteiligt. Er setzte sich
in den Vorderen Orient zu Wadi Haddad ab, erhielt von
der PFLP-SC eine paramilitärische Ausbildung und war im
Sommer 1976 für die Entführung nach Entebbe bereit.
Es wird deutlich, dass sich Wilfried Böse bereits in Frank-
furt weitgehend radikalisiert hatte, wahrscheinlich schon
sehr früh (ab ca. 1970) bereit war, in die Illegalität zu gehen
und eine terroristische Laufbahn einzuschlagen. Auch wenn
K.D. Wolff als Mentor für die frühe Phase dieses Lebensab-
schnitts prägend war, so bleibt doch festzuhalten, dass Böse
so klug, gebildet, kritisch und eigenständig war, dass er die-
sen Weg aktiv und bewusst einschlug. Böse war kein Mit-
läufer; er hatte, das zeigt sich z.B. an Aussagen von Hans-
Joachim Klein, ein hohes manipulatives Potential in Bezug
auf andere.
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Es scheint fast so, als habe er den Spöttern aus
der Bamberger linken Szene, der „RAF“ und der „Bewe-
gung 2. Juni“ zeigen wollen, wie linkes Engagement und
dann Terrorismus „besser“ und effektiver gelingen könnten.
In Hinsicht auf Organisation, finanzielle Planung und vor
allem auch Konspiration hatte er großes Talent und brachte
die nötige Härte und Kaltschnäuzigkeit mit, um rück-
sichtslos gegen Menschen vorzugehen, die in seiner links-
terroristischen Logik als Feinde ausgemacht waren. Selbst
in Entebbe trat er äußerlich scheinbar noch smart, recht
gelassen, zeitweilig geradezu freundlich gegenüber einzel-
nen Geiseln auf. In einem menschenverachtenden Sinn war
Böse vielleicht einer der professionellsten unter den deut-
schen Terroristen der 70er Jahre.
War Böse Antisemit? In religiöser Hinsicht sicherlich
nicht, und auch nicht im explizit rassistischen Sinn der
Nazi-Ideologie. Doch er – wie es typisch für den Antisemi-
tismus der Linken ist – sah sich als „idealistischen“ Kämp-
fer für die Rechte der Palästinenser, mit deren Lage er sich
solidarisierte. Die Selektion im Hangar von Entebbe zielte
30 Klein (wie Anmerkung 24), S. 268 und 293.
31 Zwei weitere kleine Indizien seien hier genannt: Von Böse sind sonst kei-
ne Selbstaussagen angegeben. Und ein RZ-Text von 1975 bezieht sich
überraschenderweise auf das Olympia-Attentat und bewertet es ähnlich
wie Meinhof. Vergleiche Früchte des Zorns, S. 63, s.
www.freilassung.de/ div/texte/dow n/zorn.pdf[Stand: 12.09.2015]), und Veit Medick: Radikal
antijüdisch, in: TAZ vom 06.10.2007, abrufbar über Google-Link zu Ver-
fasser und Titel des Textes; [beide Texte Stand: 13.08.2015].
32 Klein (wie Anm. 24), S. 41–46.