Table of Contents Table of Contents
Previous Page  49 / 80 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 49 / 80 Next Page
Page Background

49

Kain denk mal – böse

Einsichten und Perspektiven 3 | 15

Wilfried Böse – ein Terrorist aus Franken

Die Spuren Wilfried Böses, der als Anführer des Terror-

kommandos kurz im Fokus der Weltöffentlichkeit stand,

führen nach Bayern; er ist im oberfränkischen Bamberg

aufgewachsen und hat das Dientzenhofer-Gymnasium

besucht. Ein Schulprojekt hat es sich zur Aufgabe gemacht,

die Biographie Böses zu recherchieren. Im Folgenden wird

es vorgestellt.

Fragen und Quellen zum Thema

Vielfältige Fragen waren bei den bisherigen Recherchen

Ausschlag gebend: Warum entschied sich ein Bamberger

Schüler in den 1960er/1970er Jahren dazu, Linksterro-

rist zu werden? Welche Einflüsse in seinem Bamberger

Umfeld prägten seinen Weg? Wie verlief die Entwick-

lung des Täters hin zu seiner Radikalisierung? War Böse

eher ein „Mitläufer“ oder ein „Entscheider“, und welche

Motive trieben ihn an? Gibt es Rückschlüsse, die sich aus

dem Geschehen auf die politische Bildung und Erziehung

ziehen lassen? Und über Böse hinaus: Wie sah bzw. sieht

die Rezeption von Entebbe als Erinnerungsort aus – in

Deutschland, aber auch in anderen Ländern? Kann man

von einem deutschen Verdrängungsprozess sprechen?

Welche Folgen hatte das damalige Geschehen?

Motive und Taten von Wilfried Böse können bis heute

nicht alle präzise ermittelt werden. Viele der „Mosaik-

steine“ sind interpretationsbedürftig. Insofern bleibt das

schulische Projekt ein nicht abgeschlossener Arbeitspro-

zess. Auf der geplanten Projekt- Internetseite ist eine

Rückmeldungsmöglichkeit vorgesehen, um weitere Quel-

len und Stimmen aufzunehmen. Zudem bleibt festzu-

halten, dass Böses Lebensweg keine Zwangsläufigkeit

aufweist. Dass man diesen Weg nachvollziehen kann,

bedeutet nicht, dass es für Böse keine Handlungsalterna-

tiven gegeben hätte.

Quellen

Schriftliche Quellen zum Thema gibt es, soweit Böse

betroffen ist. Als Bücher seien genannt

Hans-Joachim

Klein: Rückkehr in die Menschlichkeit. Appell eines ausgestie-

genen Terroristen, Reinbek bei Hamburg 1979; Magdalena

Kopp: Die Terrorjahre. Mein Leben an der Seite von Carlos,

München 2007

(zwei Berichte von ehemaligen Mitstrei-

tern Böses bei der „Revolutionären Zelle“) sowie als pri-

märe Quelle über das Selbstverständnis der „Revolutionä-

ren Zelle“

„Holger, der Kampf geht weiter!“ Dokumente und

Beiträge zum Konzept Stadtguerilla, Gaiganz 1975.

Gut

informiert zeigen sich zahlreiche Artikel des Nachrich-

tenmagazins „Der Spiegel“ seit den späten 1960er Jahren.

Der deutsche Zeithistoriker, der sich wohl am intensivsten

mit der „Revolutionären Zelle“ befasst hat, ist Wolfgang

Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung.

Er hat unsere Recherchen auf vielfältige Weise begleitet

und unterstützt– an dieser Stelle dafür ein großer Dank!

Es wurden einige Gespräche mit Zeitzeugen geführt,

die Böse persönlich gekannt haben – vor allem aus sei-

ner Bamberger, aber auch aus der Ansbacher Zeit bis

1968. Es handelt sich in erster Linie um Schulfreunde

und -bekannte, mit denen die Projektbeteiligten gespro-

chen haben. Sie berichten unisono, dass sie sich niemals

hätten vorstellen können, dass Böse in die terroristische

Laufbahn abgleiten würde. Aussagen über den Terroristen

aus der Zeit ab dem Sommer 1968 entstammen hingegen

fast ausschließlich der Literatur – einige durch das Projekt

kontaktierte Ansprechpartner aus dieser späteren Lebens-

zeit Böses waren nicht bereit, genauer Auskunft zu geben.

12 Der Autor dankt Horst Gehringer, Barbara Eckstein und Jürgen Schraudner

für die freundliche Unterstützung.

Über das Projekt und den Autor

Das „Wilfried-Böse“-Projekt am Dientzenhofer-Gymna-

sium wird von Rafael Rempe, dem Autor dieses Beitrags

geleitet, der seit 1992 dort Geschichte unterrichtet. 1998

machte ihn ein Leistungskursschüler, Martin Gruner, auf

Böse und den Zusammenhang mit Entebbe aufmerksam.

Bereits bei den ersten Recherchen und Umfragen stießen

die Projektbeteiligten auf die eher geringere Bekanntheit

des Terroraktes. Zumindest die Beteiligung deutscher

Terroristen war vielen Befragten unbekannt. Offensicht-

lich wurden in der deutschen Öffentlichkeit bzw. der

deutschen zeitgeschichtlichen Forschung Entebbe und

dessen Zusammenhänge eher wenig berücksichtigt –

dabei stellte sich die Frage, ob es sich dabei auch um ein

Phänomen der Verdrängung handele.

Rafael Rempe beschloss, dem Thema nachzugehen –

und die neue Qualifikationsstufe mit ihren P-Semina-

ren bot dafür eine gute Gelegenheit. Bis heute sind drei

P-Seminare zum Thema angeboten worden; drei Aus-

stellungen in der Schule, im Bamberger Stadtarchiv 

12

und zuletzt auszugsweise auch in der Staatsbibliothek

Ansbach waren bisher das Ergebnis. Derzeit wird an der

Aufbereitung des Themas in Form einer Internet-Seite

gearbeitet.