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Kain denk mal – böse
Einsichten und Perspektiven 3 | 15
Wilfried Böse – ein Terrorist aus Franken
Die Spuren Wilfried Böses, der als Anführer des Terror-
kommandos kurz im Fokus der Weltöffentlichkeit stand,
führen nach Bayern; er ist im oberfränkischen Bamberg
aufgewachsen und hat das Dientzenhofer-Gymnasium
besucht. Ein Schulprojekt hat es sich zur Aufgabe gemacht,
die Biographie Böses zu recherchieren. Im Folgenden wird
es vorgestellt.
Fragen und Quellen zum Thema
Vielfältige Fragen waren bei den bisherigen Recherchen
Ausschlag gebend: Warum entschied sich ein Bamberger
Schüler in den 1960er/1970er Jahren dazu, Linksterro-
rist zu werden? Welche Einflüsse in seinem Bamberger
Umfeld prägten seinen Weg? Wie verlief die Entwick-
lung des Täters hin zu seiner Radikalisierung? War Böse
eher ein „Mitläufer“ oder ein „Entscheider“, und welche
Motive trieben ihn an? Gibt es Rückschlüsse, die sich aus
dem Geschehen auf die politische Bildung und Erziehung
ziehen lassen? Und über Böse hinaus: Wie sah bzw. sieht
die Rezeption von Entebbe als Erinnerungsort aus – in
Deutschland, aber auch in anderen Ländern? Kann man
von einem deutschen Verdrängungsprozess sprechen?
Welche Folgen hatte das damalige Geschehen?
Motive und Taten von Wilfried Böse können bis heute
nicht alle präzise ermittelt werden. Viele der „Mosaik-
steine“ sind interpretationsbedürftig. Insofern bleibt das
schulische Projekt ein nicht abgeschlossener Arbeitspro-
zess. Auf der geplanten Projekt- Internetseite ist eine
Rückmeldungsmöglichkeit vorgesehen, um weitere Quel-
len und Stimmen aufzunehmen. Zudem bleibt festzu-
halten, dass Böses Lebensweg keine Zwangsläufigkeit
aufweist. Dass man diesen Weg nachvollziehen kann,
bedeutet nicht, dass es für Böse keine Handlungsalterna-
tiven gegeben hätte.
Quellen
Schriftliche Quellen zum Thema gibt es, soweit Böse
betroffen ist. Als Bücher seien genannt
Hans-Joachim
Klein: Rückkehr in die Menschlichkeit. Appell eines ausgestie-
genen Terroristen, Reinbek bei Hamburg 1979; Magdalena
Kopp: Die Terrorjahre. Mein Leben an der Seite von Carlos,
München 2007
(zwei Berichte von ehemaligen Mitstrei-
tern Böses bei der „Revolutionären Zelle“) sowie als pri-
märe Quelle über das Selbstverständnis der „Revolutionä-
ren Zelle“
„Holger, der Kampf geht weiter!“ Dokumente und
Beiträge zum Konzept Stadtguerilla, Gaiganz 1975.
Gut
informiert zeigen sich zahlreiche Artikel des Nachrich-
tenmagazins „Der Spiegel“ seit den späten 1960er Jahren.
Der deutsche Zeithistoriker, der sich wohl am intensivsten
mit der „Revolutionären Zelle“ befasst hat, ist Wolfgang
Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung.
Er hat unsere Recherchen auf vielfältige Weise begleitet
und unterstützt– an dieser Stelle dafür ein großer Dank!
Es wurden einige Gespräche mit Zeitzeugen geführt,
die Böse persönlich gekannt haben – vor allem aus sei-
ner Bamberger, aber auch aus der Ansbacher Zeit bis
1968. Es handelt sich in erster Linie um Schulfreunde
und -bekannte, mit denen die Projektbeteiligten gespro-
chen haben. Sie berichten unisono, dass sie sich niemals
hätten vorstellen können, dass Böse in die terroristische
Laufbahn abgleiten würde. Aussagen über den Terroristen
aus der Zeit ab dem Sommer 1968 entstammen hingegen
fast ausschließlich der Literatur – einige durch das Projekt
kontaktierte Ansprechpartner aus dieser späteren Lebens-
zeit Böses waren nicht bereit, genauer Auskunft zu geben.
12 Der Autor dankt Horst Gehringer, Barbara Eckstein und Jürgen Schraudner
für die freundliche Unterstützung.
Über das Projekt und den Autor
Das „Wilfried-Böse“-Projekt am Dientzenhofer-Gymna-
sium wird von Rafael Rempe, dem Autor dieses Beitrags
geleitet, der seit 1992 dort Geschichte unterrichtet. 1998
machte ihn ein Leistungskursschüler, Martin Gruner, auf
Böse und den Zusammenhang mit Entebbe aufmerksam.
Bereits bei den ersten Recherchen und Umfragen stießen
die Projektbeteiligten auf die eher geringere Bekanntheit
des Terroraktes. Zumindest die Beteiligung deutscher
Terroristen war vielen Befragten unbekannt. Offensicht-
lich wurden in der deutschen Öffentlichkeit bzw. der
deutschen zeitgeschichtlichen Forschung Entebbe und
dessen Zusammenhänge eher wenig berücksichtigt –
dabei stellte sich die Frage, ob es sich dabei auch um ein
Phänomen der Verdrängung handele.
Rafael Rempe beschloss, dem Thema nachzugehen –
und die neue Qualifikationsstufe mit ihren P-Semina-
ren bot dafür eine gute Gelegenheit. Bis heute sind drei
P-Seminare zum Thema angeboten worden; drei Aus-
stellungen in der Schule, im Bamberger Stadtarchiv
12
und zuletzt auszugsweise auch in der Staatsbibliothek
Ansbach waren bisher das Ergebnis. Derzeit wird an der
Aufbereitung des Themas in Form einer Internet-Seite
gearbeitet.