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„Bevorst andere Leut’ ausrichst, duast liaba wos Gscheits!“
Einsichten und Perspektiven 3 | 15
Mein Großvater war die zentrale Figur in meinem Leben.
Als ich ein Bub war, kam jeden Tag nach der Arbeit ein
Freund von ihm auf einen Ratsch und zum Schnupfen
vorbei. Oft saßen sie auch eine halbe Stunde da, ohne ein
Wort zu reden. Nachdem mein Großvater gestorben war,
kam der Schorsch, der mit über 80 noch immer hand-
werklich aktiv war, regelmäßig zu mir. Eines Tages sagte
er zu mir: „Weißt, ich habe zwei Kriege erlebt, bittere
Armut, nix zu essen, aber mit der Familie hat alles gepasst.
Ich bin jetzt müde, ich möcht’ jetzt sterben“.
Ich bin heim und hab’ am selben Tag noch die Skulptur
„Angekommen“ gefertigt.
„Angekommen“
Zwei Wochen später ist der Schorsch tot neben der Hobel-
bank gelegen.
Landeszentrale:
Was war der Impuls für Ihre Tisch-Skulp-
turen?
Kuhnlein:
Die „Tischbildnisse“ haben mich thematisch am
meisten beschäftigt. In unserem früheren Hof befand sich
ein ca. 150 Jahre alter Tisch. Immer öfter stellte ich mir
die Frage, was der uns wohl erzählen würde, wenn er reden
könnte. Wie an jedem Tisch, wurde auch dort gefeiert und
getrauert, gebetet und geflucht, gestritten und versöhnt.
Ich versuchte dann in der Folge, bestimmte Begriffe in
Form eines Tisches sichtbar zu machen – eine Art Bilder-
sprache zu entwickeln. Innerhalb von zehn Wochen fer-
tigte ich 76 Tische und nicht selten erging es mir so, dass
sich mir ein Begriff erst richtig erschloss, nachdem ich das
betreffende Tischbildnis geschaffen hatte.
Landeszentrale:
Wie lang arbeiten Sie an einer Skulptur?
Kuhnlein:
Das kommt natürlich aufs Motiv an, vor allem
aber, ob Emotionen im Spiel sind, was für mich ein ent-
scheidender Punkt ist. Wenn das der Fall ist, geht es relativ
schnell, wenn Unsicherheit, Ablenkung o.ä. vorherrscht,
ist es besser, ich mach’ was anderes. Es kann sich also um
Stunden, aber auch um Tage handeln.
„Tischgesellschaft“
Landeszentrale:
Was sagen Sie jungen Menschen, die als
Bildhauer, bzw. als Künstler arbeiten wollen?
Kuhnlein:
Ich versuche, den jungen Menschen zu vermit-
teln, dass sie sich auf die Suche begeben sollen, und zwar
in ihr Innerstes. Denn da befindet sich etwas, was sie von
allen anderen Menschen unterscheidet, etwas, was sie ein-
zig macht. Diese Suche muss nicht immer angenehm sein,
weil ja viel Erlebtes im Unterbewusstsein gespeichert ist.
Aber es ist authentisch und tragfähig.