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Eine Mauer in Berlin und die innerdeutsche Grenze 1945–1989

Aus dieser Grenzziehung erwuchs die Teilung Europas in

zwei Einflusssphären. Churchill, der sie in Jalta selbst mit

festgelegt hatte, bezeichnete sie 1946 als „Eisernen Vor-

hang“, der die Demokratien in Europa von denen der

kommunistischen Diktaturen trenne. Der Stacheldraht

und die Mauern dieses „Vorhangs“ verliefen 44 Jahren

mitten durch Deutschland. Drei Jahreszahlen bestimmen

die Geschichte dieser Grenzen: 1952 wird die Zonen-

grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik befes-

tigt, 1961 die Mauer in Berlin gebaut. 1989 fällt diese

Mauer ebenso wie die innerdeutsche Grenzbefestigung.

Der Eiserne Vorhang hatte historisch vor allem zwei

Vorbilder: die chinesische Mauer und den Limes, mit dem

Rom sein Imperium gegen die „Barbaren“ abgrenzte.

Der erste Aspekt dieser Grenzziehung war ein weltpoli-

tischer, sie war die Trennlinie zwischen den westeuropäi-

schen Demokratien, den USA und dem „Ostblock“, wie

das sowjetische Imperium umgangssprachlich bezeichnet

wurde. Politisch führte die Blockbildung zur Gründung

zweier Militärbündnisse: der NATO geführt von den

USA imWesten und im Osten zumWarschauer Pakt. Die

jeweiligen Führungsmächte bedrohten einander wechsel-

seitig mit Atomwaffen.

Der zweite Aspekt dieser Grenze durch Deutschland

war die der nationalen Teilung und der gewaltsamen

Abgrenzung der DDR von der Bundesrepublik. Sie konnte

von der Bevölkerung nicht ohne staatliche Genehmigung

passiert werden. Auf Flüchtlinge wurde scharf geschossen.

Der dritte Aspekt war die Systemgrenze, der Gegensatz

zweier unterschiedlicher politischer und ökonomischer

Ordnungen. Er führte zu Konflikten und zum Wettbe-

werb der Systeme. Die Bevölkerung verglich auf beiden

Seiten der Blockgrenzen die Lebensbedingungen im eige-

nen mit denen im anderen System; das galt besonders für

die beiden deutschen Staaten. Dieser Vergleich war für die

Identität und die Stabilität der beiden deutschen Staaten

von erheblicher Bedeutung und trug entscheidend zum

Untergang der DDR bei.

Beide deutsche Teilstaaten waren nach gegensätzlichen

Ordnungsvorstellungen gestaltet. Die „Sozialistische Ein-

heitspartei Deutschlands“ (SED) behauptete und rechtfer-

tigte ihre Diktatur mit dem Versprechen, der Sozialismus

sei die Zukunft der Menschheit. Die Bundesrepublik war

eine Demokratie und setzte auf individuelle Freiheit und

wirtschaftliche Prosperität. Die elektronischen Medien,

Radio und Fernsehen erlaubten der DDR-Bevölkerung

den Blick über Mauer und Stacheldraht in das Leben des

anderen Deutschlands.

Den Systemvergleich zwischen beiden Staaten, gemessen

an den Lebensbedingungen der Menschen, hatte die DDR

schon bald verloren. Die Flüchtlingszahlen waren auch Aus-

druck der Niederlage im innerdeutschen Systemvergleich.

Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR in die Bundesrepublik von 1950 bis 1989

Quelle: picture alliance