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Eine Mauer in Berlin und die innerdeutsche Grenze 1945–1989

Die Bezeichnung „Mauer“ für das Bauwerk ist irrefüh-

rend. An Mauern kann man Leitern stellen, um sie zu

überwinden. In Berlin handelt es sich nicht um eine

Mauer, sondern um eine Grenzbefestigung. Die eigent-

liche Grenze war aber gegen die Ost-Berliner errichtet

worden: die „Hinterlandmauer“. Im Gegensatz zur West-

seite der Grenzbefestigung, die fotografiert wurde und

das Bild von der Mauer weltweit prägte, gab es von der

„Hinterlandmauer“, die von der Westseite nur an einigen

Stellen einsehbar war, kaum Bilder. 

7

In Ost-Berlin war es

verboten, sie zu fotografieren. 

8

Das war die eigentliche

Grenze, die gegen die eigene Bevölkerung gerichtet war.

Auf die Flüchtlinge, die es trotzdem wagten, diese Hinter-

landmauer zu überwinden, waren die Waffen der Grenz-

truppen 

9

gerichtet. Das von der SED gezeichnete Propa-

gandabild vom „antifaschistischen Schutzwall“ gegen die

aggressive Bundesrepublik verdeckte immer eine Wahr-

heit, die auszusprechen in der DDR unter Strafe stand:

Die Mauer war ein Schutzwall für die SED-Diktatur. Eine

Tatsache, die spätestens durch ihren Fall am 9. November

1989 für die ganze Welt sichtbar wurde.

Ulbricht, der Mauerbauer, trat nach dem 13. August

1961 in der Pose des Siegers auf. Es sollte sich aber zei-

gen, dass das Bauwerk in vielfacher Hinsicht ein Symbol

für drei strategische Niederlagen der SED war, die erst 28

Jahre später zum Untergang führen sollten:

1. Der sozialistische Staat und seine zentrale Planwirt-

schaft hatten die Systemkonkurrenz zwischen der

Bundesrepublik und der DDR schon damals verloren.

Die DDR konnte nur mit hermetisch abgesicherten

Grenzen existieren.

2. Die Sowjetunion hatte der DDR ihre Statusrechte in

Berlin und damit die uneingeschränkte Kontrolle über

die Transitwege nach West-Berlin nicht übertragen.

Damit hatte sich Ulbrichts Ziel, in der Berlin-Krise

die volle Souveränität der DDR auch gegenüber der

Vormacht zu erreichen, als Illusion erwiesen. Der SED-

Staat blieb ein Vasall der Sowjetunion.

3. Die „Westberlinfrage“ konnte nicht gelöst werden; die-

ser erratische Block in der Normalität der deutschen

Zweistaatlichkeit wurde nicht entsorgt und erinnerte –

auch wenn dies immer weniger Menschen wahrnah-

men – an das Unnormale der deutschen Teilung im

gespaltenen Europa.

Sicherung der DDR für 28 Jahre

Ohne die Schließung und militärische Sicherung der Sek-

torengrenze in Berlin hätte die DDR das Jahr 1961 ver-

mutlich nicht überleben können. Das war jedenfalls das

Urteil von SED-Chef Ulbricht.

Anfang 1962, nachdem aus dem Stacheldraht nach und

nach die Mauer wurde, übersandte Ulbricht dem sowjeti-

schen Partei- und Staatschef Chruschtschow einen Lage-

bericht. Er beschrieb die historische Bedeutung dieser Ber-

liner Grenze für den Sozialismus insgesamt. Ihm war klar

geworden, dass er bei offener Grenze dem Systemwettbe-

werb mit den Demokratien des Westens nicht gewachsen

sei: „Der Nachteil der Grenzsicherung bestand darin, dass

in der Öffentlichkeit sichtbar wurde, daß die DDR und das

7 Gerhard Sälter/Tina Schaller/Anna Kaminsky (Hg.): Weltende – Die Ost-

seite der Berliner Mauer. Mit heimlichen Fotos von Detlef Matthes, Berlin

2011.

8 Elena Demke: Mauerfotos in der DDR. Inszenierungen, Tabus, Kontexte;

in: Die DDR im Bild. Zum Gebrauch der Fotografie am anderen deutschen

Staat, hg. v. Karin Hartewig/Alf Lüdtke, Göttingen 2004, S. 89–106.

9 Vgl. dazu: Jochen Maurer: Dienst an der Mauer Der Alltag der Grenztrup-

pen rund und Berlin, Berlin 2011.

Der 18-jährige Peter Fechter wurde am 17.8.1962 bei einem Fluchtversuch

schwer verletzt; er verstarb wenige Stunden später, vor allem, weil keine

Rettungskräfte zu ihm vorgelassen worden waren.

Foto: picture alliance/ap/dpa