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Einsichten und Perspektiven 3 | 15
der MAZ-Umfrage bejahten 64 Prozent der Anhänger der
Linkspartei und 69 Prozent der Grünen-Sympathisanten
die Frage, ob es noch eine Mauer in den Köpfen gibt. Bei
CDU und SPD sind es nur 55 beziehungsweise 56 Pro-
zent.“
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Auch im Jahr 2015 konstatierte eine Studie des
Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, „25
Jahre nach der deutschen Einheit schwindet das Gefühl
der Fremdheit zwischen West- und Ostdeutschen, aber
nur langsam.“
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Der Sensibilität der ost-west-deutschen Kommunikation
Rechnung tragend, sah sich die Beauftragte der Bundes-
regierung für die neuen Bundesländer im Jahresbericht
zum 25-jährigen Gedenken des Mauerfalls immer noch
zu einem besonderen Appell an die Bürgerinnen und
Bürger in Ost und West veranlasst: „Wir brauchen einen
unverkrampften Umgang miteinander, wie ihn die junge
Generation so erfreulich vorlebt. Die Möglichkeiten, sich
der gemeinsamen Leistungen in Ost und West bewusst zu
werden, sind vielfältig. Im täglichen Umgang miteinan-
der sollte dies eine besondere Rolle spielen. Der Weg zur
inneren Einheit kann nur über gegenseitigen Respekt und
Anerkennung beschritten werden.“
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Schlafzimmer eines „DDR Design Hotels“ in Berlin-Friedrichshain, das
ganz im DDR-Stil eingerichtet ist, samt DDR-Literatur und Bild von Erich
Honecker
Foto: ullstein bild – Eckel
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http://www.maz-online.de/Brandenburg/Mauer-Ost-West-Unterschiede- Umfrage[Stand: 13.09.2015].
17 S. Thomas Öchsner: Innerdeutsche Grenze, in: Süddeutsche Zeitung vom
23.07.2015, S. 5.
18 Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014,
hg. v. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Berlin 2014, S. 15.
„Die Mauer in den Köpfen“ der jungen Generation
Für viele Angehörige der jungen, vielfach so genannten
„Nachwende-Generation“ spielt die Frage einer Herkunft
aus Ost- oder Westdeutschland, das belegen viele Studien,
keine Rolle mehr. Für viele von ihnen mag der Mauerfall
gefühlt so weit weg liegen wie die Weimarer Republik.
Jenseits der zahlenmäßigen Trends zeigen jedoch individu-
elle Äußerungen, dass sich hinter dieser Trendschiene bei
vielen auch ein Bedürfnis an differenzierten Betrachtungs-
weisen besteht, wie es etwa in dem 2012 veröffentlich-
ten Band „Dritte Generation Ost. Wer wir sind, was wir
wollen“ zum Ausdruck kommt.
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Dieses Buch bestätigt
gerade unter den Auspizien einer unideologischen, plura-
len Herangehensweise den Wunsch nach einem Abrücken
von den alten Stereotypen. Ganz dezidiert rufen darin Ver-
treterinnen und Vertreter der sich selbst so bezeichnenden
„Dritten Generation Ostdeutschland“,
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die in Deutsch-
land nach der Wiedervereinigung sozialisiert wurde und
die sich in dem Buch das Etikett einer „zersplitterten
Generation“ anheftet,
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die Geschichte der DDR differen-
ziert zu betrachten. Das bedeutete zum einen der DDR in
ihrem staatlichen Sein, aber auch dem Leben und Erleben
der Menschen in der DDR eine weniger schablonenhafte
Betrachtung, als dies oft der Fall sei, zukommen zu lassen.
Katja Warchold etwa reflektiert kritisch Versuche von Ver-
tretern der eigenen Generation, eine einseitige ostalgische
Sichtweise auf die DDR zu etablieren; als Beispiel dafür
nennt sie den Titel „Zonenkinder“ von Jana Hensel.
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Deutlich wird dabei das Anliegen gegenüber den West-
deutschen, sich auch vom Denkmodell der „alten Bundes-
republik“ zu verabschieden und sich ebenfalls aktiv der
gemeinsamen Zukunft ohne die alten Ost-West-Denk-
muster zuzuwenden.
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Wie es das Beispiel der Hirsche im Böhmerwald/Bayeri-
schen Wald zeigt, kommt es vorrangig auf die individuelle
Entscheidung an, Grenzen zu überqueren. Manche tun es,
manche scheuen davor zurück. Eine Wahlfreiheit, die in
einer pluralen Demokratie eben ganz selbstverständlich ist.
19 Michael Hacker/Stephanie Maiwald/Johannes Staemmler u.a.: Dritte Ge-
neration Ost. Wer wir sind, was wir wollen, Berlin 2012.
20 Bezogen auf die Jahrgänge 1975–1989; also diejenigen, die ihre Kindheit
und teilweise Schulzeit in der DDR verbracht haben und ihre berufliche
Ausbildung bereits nach 1989 erlebt haben, vgl. ebd. , Einleitung, S. 11.
21 Ebd., S. 77.
22 Katja Warchold: „So etwas ist in meiner DDR nicht vorgekommen“. Erinne-
rungen an ein Aufwachsen in der DDR und im vereinten Deutschland, in:
Hacker/Maiwald/Staemmler (wie Anm.4), S. 58.
23 Ebd.