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Einsichten und Perspektiven 3 | 15
Reisende zwischen der Bundesrepublik und der DDR
benötigten einen „Interzonenpass“, um die innerdeutsche
Grenze passieren zu können.
1952 – Stalin befiehlt die Westgrenze der DDR zu
befestigen
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In seinem letzten Gespräch mit der SED-Führung im
April 1952 erklärte der sowjetische Diktator Stalin die
Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik zu
einer „gefährlichen Grenze“ und wies die SED-Spitze an,
ihre Westgrenze stärker zu sichern; gleichzeitig befahl er
die Aufstellung einer eigenen Armee in der DDR.
Der Ministerrat der DDR beschloss am 26. Mai 1952
eine Verordnung über „Maßnahmen an der Demarkations-
linie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungs-
zonen.“ Seit 1952 ließ die DDR die knapp 1.400 Kilome-
ter lange Demarkationslinie, die 1949 zur innerdeutschen
Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik
geworden war, durch Aufbau von befestigten Grenzanla-
gen zunehmend abdichten. Seitdem wurde die Grenze mit
Drahtsperren, Wachtürmen und den ersten Signalanlagen
versehen.
Was bedeutete diese Grenzziehung nun für die an der
„Demarkationslinie“ lebenden Menschen, die in abge-
wandelter Form auch für die Ost-Berliner nach dem Bau
der Mauer galten?
Ebenfalls am 26. Mai wurde der Grenzbevölkerung eine
Polizeiverordnung bekannt gegeben. Sie definierte eine in
sich gestaffelte Sicherheitszone entlang der Grenze: ein zehn
Meter breiter Kontrollstreifen, ein etwa 500 Meter breiter
„Schutzstreifen“ und eine fünf Kilometer breite „Sperr-
zone“. Diese Territorien waren hauptsächlich durch Verbote
gekennzeichnet. Der Kontrollstreifen war eine vegetations-
freie Fläche direkt an der Grenze, die vor Betreten zu schüt-
zen war: Alle Personen, die ihn beträten, seien als „illegale
Grenzgänger“ notfalls unter Einsatz der Schusswaffe zu ver-
haften. Er wurde gerodet, gepflügt und geeggt, um Spuren
von Grenzübertritten feststellen zu können. Er erstreckte
sich von der Ostsee bis zur tschechischen Grenze. Bei sei-
ner Herstellung wurden Straßen und Schienen unpassierbar
gemacht und Gebäude zerstört.
2 Grundlage dieses Kapitels ist die Publikation: Gerhard Sälter/Manfred
Wilke: Ultima Ratio: der 13. August 1961, hg. von der Konrad-Adenauer-
Stiftung, St. Augustin 2011.
Die deutsch-deutsche Grenze an der Ostsee, 1960
Foto: ullstein bild/Fotograf: Jochen Blume
Der „Schutzstreifen“ wurde von der Grenzpolizei über-
wacht; für die Kontrolle der „Sperrzone“ war die Volkspo-
lizei zuständig. Das Sperrgebiet war an den Zufahrtsstra-
ßen durch Verbotsschilder und Schlagbäume gesichert.
Die dort ansässigen oder arbeitenden Personen mussten
sich registrieren lassen, denn das Recht zum Aufenthalt
sollten nur überprüfte Personen erhalten. Besucher durf-
ten das Gebiet nur mit polizeilichen Passierscheinen betre-
ten, Berliner und Ausländer durften das „Sperrgebiet“
nicht betreten. Jeder nicht genehmigte Aufenthalt in die-
sem Gebiet führte zur vorläufigen Festnahme.
Im „Schutzstreifen“ waren öffentliche Veranstaltungen
aller Art untersagt; Wirtshäuser, Kinos und ähnliche Ein-
richtungen wurden geschlossen, in der Sperrzone waren
sie genehmigungspflichtig. Im Schutzstreifen wurden
kirchliche Veranstaltungen einschließlich der sonntäg-
lichen Gottesdienste zunächst überhaupt nicht mehr
erlaubt. Dort war der Aufenthalt im Freien nur bei Tages-
licht gestattet. Von diesen Maßnahmen waren 375.000
Menschen betroffen, die 1952 im Sperrgebiet wohnten.
Mit der Registrierung der Bevölkerung verbunden war
ihre Überprüfung nach politischen Loyalitätskriterien.
Die Personen, die als politisch unzuverlässig galten, muss-
ten im Juni 1952 in der als „Aktion Ungeziefer“ bezeich-
neten Zwangsaussiedlung das Gebiet verlassen. Davon
waren etwa 8.400 Menschen betroffen, weitere 3.000
entzogen sich der Umsiedlung durch Flucht nach West-
deutschland. Damit hatte die SED in den Grenzkreisen
eine Atmosphäre von Furcht und Unsicherheit geschaffen
und den politischen Anpassungsdruck deutlich erhöht.