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Gefahren im Markt der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe

Beratungsstellen wissen von handfesten Konflikten und Schäden, die manches Angebot im

gewerblichen Lebenshilfemarkt befördert oder gänzlich zu verantworten hat. Die

neuen

Kompetenzen

können einen hohen Preis kosten: Berichte über Kontaktabbrüche zu Familien

und Freunden, beträchtliche Schulden oder zerstörtes Vertrauen sind bei unseriösen oder

ideologisch hoch aufgeladenen Anbietern keine Seltenheit. Dass manche angebotenen

alternativen Entwürfe nur dann gelingen können, wenn auf die eigene Selbstbestimmung

verzichtet wird, letztlich nur wenn die eigene Verantwortung einer übergeordneten Organisa-

tion oder Idee (und sei sie G

OTT

genannt) geopfert wird, wird von den Betroffenen als Problem

lange nicht erkannt (auch wenn es das Umfeld schon längst bemerkt). So lange die Betroffenen

systemkonform mit der Methode bzw. Weltanschauung des jeweiligen Anbieters, Coachings,

der alternativen Therapie leben und denken, scheint alles auch in bester Ordnung zu sein.

Erst wenn man wieder anders denkt und entsprechend anders handelt, werden die vorgege-

benen Strukturen und die einfachen Antworten fragwürdig. Erst wenn die Konflikte im Alltag

beim Kontakt mit anderen Menschen, Strukturen und der Gesellschaft immer größer werden,

hat der eigene Lebensentwurf seine Nagelprobe zu bestehen. Misslingt die Probe, kommt es

zum Ausstieg aus der alternativen Szene, oder aber auch zum trotzigen „Jetzt erst recht.“ Je

absoluter der gewählte alternative Lebensentwurf ist (im Gegensatz zu Gesellschaft und

Welt), desto größer sind die Probleme beim Ausstieg, und desto konfliktträchtiger sind die

Kontakte, wenn der betroffene Mensch bei seinem Gegenentwurf

zur Welt

bleibt.

Betroffene erzählen im Nachhinein, wie ausgebrannt und getäuscht sie sich fühlen. Sie sind

vor allem von sich selbst enttäuscht, weil sie die inneren Alarmsignale überhört hatten, und

sie sind verbittert, so viel Zeit und Geld verloren zu haben. Manche beklagen, dass sie zu

wenig Informationen hatten, um tatsächliche Gefahren zu erkennen. Der Weg zurück in einen

geregelten Alltag fällt umso schwerer, je mehr man von sich selbst preisgegeben hat, und er

dauert umso länger, je höher die Schulden sind, die man sich eingehandelt hat. Verfügt man

in dieser Situation über Familie und Freunde, die einem beistehen, und hat man den Mut,

sich hilfesuchend an eine Beratungsstelle zu wenden, können die schlimmsten Folgen ab-

gemildert werden (s. 2.7).

Augen auf!

Ein universal passendes Coachingkonzept kann es nicht geben – zu verschieden sind

menschliche Typen, Situationen und Lebenslagen. Die eigenen, ganz spezifischen Bedin-

gungen sollten daher vor jeder Weiterbildung und jedem Trainingsangebot bedacht und den

zeitlichen und finanziellen Investitionen, die ein Angebot erfordert, gegenübergestellt werden.

Zu betrachten ist auch die tatsächliche eigene Bereitschaft zur Veränderung, denn auch

wenn es meist anders klingt: Seminare sind keine Selbstläufer, zumindest nicht im Sinne

einer nachhaltigen Verbesserung der Lebenssituation.

Vermutet man bereits bei der Auswahl eine weltanschauliche Prägung, ist eine genauere

Prüfung absolut notwendig. Fragwürdige religiöse, ideologische oder auch politische Positio-

nen sind möglicherweise nur subtil in Seminarkonzepten und Grundlagenliteratur enthalten.

Häufig wird vieles vermischt und dieses wiederum selten benannt. Außerdem muss in die-

sem Zusammenhang die Möglichkeit einer Überzeugungsabsicht bzw. Missionstätigkeit als

wesentliches Motiv eines Anbieters benannt werden.

Leider kommt es auch nicht selten vor, dass in Beratungsstellen von Manipulationsver-

suchen während der Weiterbildungsmaßnahme berichtet wird. Manchmal werden sogar ganz

direkt Werthaltungen und Ansichten von Teilnehmern ohne Begründung in Frage gestellt

oder pauschal abgewertet. Mittels manipulativer Techniken wie extrem langer Seminarein-

heiten ohne Pause oder gar Schlafentzug

wird die Konzentrations- und Kritikfähigkeit ver-

mindert. Oft können Betroffene ihr Verhalten während eines Seminars im Nachhinein selbst

nicht mehr nachvollziehen, was den erzeugten psychischen Ausnahmezustand unterstreicht.

Auch extreme Verletzungen der Intimität sind leider keine Seltenheit.