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erreicht, wenn Krankheit und Leid seine Pläne zunichte machen, wenn ihm Einsamkeit und

Endlichkeit bewusst werden, verlangt die Frage nach übergreifenden Werten und die tiefe

Sehnsucht nach Sinn nach Antworten, die man – nicht zuletzt auch vom weltanschaulich

geprägten Fachmann – zu erhalten hofft.

Nicht von ungefähr entwickelt sich neben der etablierten abendländisch-wissenschaftlichen

Welt eine

esoterische Weltanschauung

, welche den Einseitigkeiten der einen Welt zu entflie-

hen sucht und bemüht ist, dem kritisch-rationalen Denken, das in vielen Fällen ohnehin nicht

mehr zu tragen scheint, eine natürlich-spirituelle Dimension entgegen zu setzen. Aber auch

die fundamentalistischen Entwürfe erhalten in letzter Zeit wieder Zulauf. Christliche und mus-

limische, fernöstliche und esoterische, atheistische und politische Fundamentaloptionen er-

freuen sich regen Interesses, weil hier gegen alle moderne Beliebigkeit und kritische Unsi-

cherheit ein Gegenentwurf entfaltet wird, der Geborgenheit schenkt durch (vermeintlich) ein-

fache und eindeutige Antworten auf immer komplexer werdende Fragen

;

der Orientierung

leistet, wo sonst Ratlosigkeit herrscht vor den Freiheiten, die man hat. Anbieter mit konserva-

tiven oder gar fundamentalistischen Gesellschafts- und Menschenbildern oder simplifizieren-

den Methoden haben auch den Nachhilfemarkt entdeckt. Nicht auszuschließen ist, dass ne-

ben schulischer Unterstützung über Haltungen und Methoden auch das Weltbild weitergege-

ben wird oder Überzeugungsabsicht oder Missionstätigkeit ein wesentliches Motiv ist. Auch

im Bereich von Sprachreisen, AuPair- und Volunteerprojekten im Ausland können Jugend-

liche auf weltanschaulich stärker geprägte Organisationen, Betreuer oder Gastfamilien tref-

fen als sie es von Deutschland her kennen und dort mit unerwarteten Problemen konfrontiert

werden (s. 2.2; 2.3).

Coaches und Therapeuten als soziale Ressource in fragmentierten Biographien

Die Erwartung, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

mobil

und

flexibel

zu sein haben, weist

ebenfalls auf neue Herausforderungen hin, auf die sich der Mensch des 21. Jahrhunderts

inmitten einer Bildungsgesellschaft einzulassen hat, wenn er halbwegs erfolgreich im stärker

werdenden internationalen Wettbewerb bestehen möchte. Die geforderte Mobilität und Flexi-

bilität geht nicht selten zu Lasten sozialer Netzwerke. Immer weniger Menschen leben ihr

Leben lang an ihrem Geburts- oder Ausbildungsort, immer weniger verbleiben in ihrem ers-

ten erlernten Beruf. Stattdessen enthält die Lebens- und Berufsbiographie anders als noch

vor wenigen Jahrzehnten heute fast selbstverständlich mehrere größere Brüche. Das Leben

fragmentiert in immer zahlreichere Abschnitte (diachron) und in immer unterschiedlichere

Segmente (synchron). Junge Familien leben in ganz anderen Lebenswelten als ihre Eltern

und Großeltern, folgen anderen Wert- und Handlungsmustern. Oft sind auch die geforderten

Wert- und Handlungsmuster in Berufsalltag und Familie völlig unterschiedlich. Und wo mit

beruflichen Veränderungen auch immer wieder lokale Wechsel einhergehen, wird das soziale

Netz von Familie, Freunden und Bekannten immer grobmaschiger. Die Lebensabschnitts-

gefährtin oder der Lebensabschnittsgefährte ist fast eine automatische Folge der hochgradigen

Flexibilität. Der Coach oder Therapeut ersetzt manche soziale Ressource, die in früheren

Zeiten Familie, Freundeskreis u. a. geboten haben. Ein Jugendcoach versucht Orientierung

und Unterstützung für ganz neue schulische oder berufliche Anpassungsleistungen zu geben,

die für viele Eltern fremd und undurchschaubar sind (s. 2.6).

Strukturvertrieb – Ausbruch aus prekärer Lebenssituation?

Vor allem über Medien wird unter den Bedingungen einer individualisierten Gesellschaft

suggeriert, dass mit einer positiven Einstellung (s. 2.4) und dem richtigen Engagement

(s. 3.2) alles zu erreichen wäre. Doch nicht nur in unseren europäischen Nachbarländern

nehmen prekäre Arbeitssituationen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu. Immer

wieder lassen sich Menschen gerade in der Situation von Arbeitslosigkeit auf fragwürdige

Finanzierungs- und Unternehmensmodelle ein, um irgendwie den Anschluss an die Er-

werbsgesellschaft doch noch zu behalten. In Schenkkreismodellen (s. 2.1) ist scheinbar

leicht Geld zu verdienen und auch im Strukturvertrieb soll der Tüchtige und Geschickte reich