Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 4/13) - page 257

Synekdoche, Balkan
Einsichten und Perspektiven 4 | 13
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[Stand: 16. November 2013].
7 Der Text lautet: “
On this place Serbian criminals in the night of 25th–26th August 1992 set on fire National and University’s library of Bos-
nia and Hercegovina. Over 2 millions of books, periodicals and documents vanished in the flames.”
Einer der neuen muslimischen Friedhöfe
Foto: Christoph Huber
baut, Kriegsruinen und Einschusslöcher gibt es noch, aber
nicht häufig. Dennoch entkommt man den Zeugnissen der
Belagerung nicht. ImFlur unseres Hotels hängt ein Plan von
Sarajevo, der gut zeigt, wie nahe sich hier Frieden und Krieg
waren: Es ist die offizielle Karte der Olympischen Sport-
stätten von 1984. In die Karte ist einfach eine rote Linie ein-
gezeichnet, die den Belagerungsring markiert. Dann sind da
die vielen Friedhöfe mitten in Wohngebieten, auf denen die
Grabsteine nur Todesdaten zwischen 1992 und 1995 tragen.
Das Olympiastadion und die Olympiahalle im Stadtteil
Koševo sind von solchen Friedhöfen umgeben, da hier ge-
nug Platz war, um die Opfer der Heckenschützen und Gra-
naten zu bestatten. Die Belagerung forderte in der Stadt
rund 10 000 Todesopfer.
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Auf den Gehwegen stößt man im-
mer wieder auf die „Rosen von Sarajevo“: Einschlaglöcher
von Granaten, die mit rotem Harz ausgegossen und so zu
kleinen Mahnmalen wurden. Das häufigste Graffiti auf den
Hauswänden ist
„Don’t forget Srebrenica“
, wo im Juli 1995
etwa 8 000 muslimische Männer hingerichtet worden wa-
ren. Am östlichen Rand der Altstadt steht die frühere Na-
tionalbibliothek von Bosnien-Herzegowina, ein dreieckiger
Bau aus der österreichisch-ungarischen Epoche. Sie gehört
2008 zu den wenigen verbliebenen Kriegsruinen der Innen-
stadt, in den leeren Räumen finden Kunstausstellungen
statt. Das Gebäude war, wie eine Tafel am Eingang erklärt,
imAugust 1992 von der serbischen Armee beschossen wor-
den und vollständig ausgebrannt, alle Bücher und die Hand-
schriftensammlung gingen verloren.
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Sarajevo und Srebrenica waren zwei Kulminations-
punkte des blutigsten aller Kriege im ehemaligen Jugosla-
wien. Bosnien-Herzegowina wurde beim Zerbrechen Jugo-
slawiens die multiethnische Bevölkerungsstruktur zumVer-
hängnis. 1991 war Bosnien von rund 43 Prozent bosnischen
Muslimen, 33 Prozent Serben, 17 Prozent Kroaten und sie-
209...,247,248,249,250,251,252,253,254,255,256 258,259,260,261,262,263,264,265,266,267,...284
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