Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 4/13) - page 260

Regisseur von „Synecdoche, New York“, bei seiner Film-
premiere, der Pressekonferenz und dem Bummel durch den
Basar.
Die Stadt hält uns auf Trab, und so unternehmen
wir erst an unserem letzten Tag die Fahrt hinaus zum Tun-
nel, von dem bereits die Rede war. Der Ausflug führt uns
nach einer Woche zum ersten Mal aus der Stadt hinaus. Die
Reiseführerin und der Fahrer des Minibusses sind wie wir
um die dreißig und haben den Krieg in Sarajevo verbracht.
Der Eingang zum Tunnel liegt in einem ganz gewöhnlichen
Wohnhaus jenseits des Flughafens; es ist schon ziemlich
bemerkenswert, wie er unter den widrigen Umständen der
Belagerung gegraben werden konnte. Dafür dass der Tun-
nel der einzige Weg aus der Stadt war, ist er erschreckend
schmal und niedrig. In einem dunklen, 800 Meter langen
Gang kam nicht nur die politische Führung Bosniens, auch
der damalige Präsident Izetbegovic“, aus der Stadt heraus,
sondern auch Nahrungsmittel, Waffen und allerhand ande-
re Waren hinein. Man darf vermuten, dass auf den Schwarz-
märkten Sarajevos auch das ein oder andere Vermögen ge-
macht wurde.
Synekdoche, Balkan
Einsichten und Perspektiven 4 | 13
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Die Rückfahrt führt uns auf bosnisch-serbisches Territori-
um. Hier liegt „Istocˇno Sarajevo“, in erster Linie bewohnt
von bosnischen Serben. Anders als der Name vermuten
lässt, ist Ost-Sarajevo kein Stadtteil mit direkter Verbin-
dung zu anderen Vierteln, sondern eine Ansammlung meh-
rerer Dörfer, die in keinem baulichen Zusammenhang zur
Stadt stehen. Unsere Reiseführerin und der Busfahrer in-
szenieren den Transit mit einiger Dramatik.
„Now we are
entering the Republika“
, lautet die Durchsage bei der Ein-
fahrt nach Ost-Sarajevo, wo die Straßenschilder kyrillisch
werden, und
„We are back in the Federation“
, als wir über
einen Bergrücken fahren und vor uns die Altstadt von Sara-
jevo sehen. Sie meinen die „Republika Srpska“ und die „Fö-
deration Bosnien-Herzegowina“, die beiden Landesteile.
Diese Teilung bestimmt in Bosnien-Herzegowina alles.
Bosnien ist das Land mit einem außerordentlich
komplizierten politischen System. Die beiden Teilrepubli-
ken verfügen jeweils über vollständige staatliche Struktu-
ren, eigene Regierungen und eigene Parlamente. Der Regie-
rung des Gesamtstaats steht ein dreiköpfiges Staatspräsidi-
um vor – ein Bosniake, ein Kroate, ein Serbe. Der Vorsitz
Lebendige Stimmung um den Sebilj-Brunnen
Foto: Alexander Wulffius
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