Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 4/13) - page 256

Ort des Attentats vom 28. Juni 1914
Foto: Christoph Huber
den Händen, das ist unser orientalisches Protokoll.“ Das
tun wir und machen es künftig immer so. Unser Tischnach-
bar war, wie wir erfahren, als Gastarbeiter nach Deutsch-
land gekommen und nun im Sommer auf Besuch in seiner
Heimatstadt.
Bei allem Reiz, den das Flanieren in Sarajevo hat,
treffen wir doch oft auf Zeugnisse einer gewalttätigen Ge-
schichte, geschuldet gerade dem Status als multiethnischer
Stadt in einer Region Europas, in der die Machtverhältnis-
se oft wechselten. Weltbekannt ist Sarajevo durch den Mord
an Franz Ferdinand: Google ergänzt das Suchwort Sarajevo
automatisch mit „Attentat“. Tatsächlich ist der Platz, an
dem der Erste Weltkrieg ausgelöst wurde, eher unspekta-
kulär, an der Lateinerbrücke über den Fluss Miljacka. Ein
Gedenkstein markiert den Ort, auch auf Englisch: “
From
this place on 28 June 1914, Gavrilo Princip assassinated the
heir to the Austro-Hungarian throne Franz Ferdinand and
his wife Sofia.”
5 Konrad Clewing und Oliver Jens Schmitt (Hg.): Geschichte Südosteuropas. Vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart, Regensburg 2011,
S. 545.
Synekdoche, Balkan
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Princip gehörte zu einer radikalisierten Gruppe von Ver-
schwörern aus dem Umfeld der panserbischen Geheimor-
ganisation „Vereinigung oder Tod“, auch bekannt als
„SchwarzeHand“. 1911 vonMilitärs undGeheimdienstlern
gegründet, war die Organisation bis 1913 eng mit der serbi-
schen Regierung vernetzt. ZumZeitpunkt des Attentats war
unter Ministerpräsident Nikola PašicŸ die Distanz jedoch ge-
wachsen, sodass man nicht von einem Einvernehmen der
Belgrader Regierung ausgehen kann.
5
Die Donaumonarchie
sah in demAttentat jedenfalls eine serbische Aggression und
einen Angriff auf ihre Integrität. Der Plan für einen lokalen
Krieg zur Bestrafung Serbiens löste die Kettenreaktion im
europäischen Mächtesystem aus, an deren Ende die Kata-
strophe des Ersten Weltkriegs stand.
An dieses historische Attentat erinnern heute nur
der Gedenkstein und das Stadtmuseum, die Zerstörung Sa-
rajevos imBosnienkrieg ist dagegen sehr präsent. Zwar wur-
den die meisten Gebäude im Stadtzentrum wieder aufge-
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