Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 4/13) - page 262

Das dicht bebaute Zentrum Belgrads liegt auf einer Halbinsel über Donau und Save. Der Kirchturm gehört zur St.-Michaels-Kathe-
drale, dem Sitz der Erzeparchie der serbisch-orthodoxen Kirche in Belgrad.
Foto: Alexander Wulffius
Platz beschallt, scheint eine grammatische Form von Ser-
bien bzw. serbisch zu sein. Das martialische Parteilogo – der
doppelköpfige Adler des Landeswappens trägt zusätzlich
Schwerter in den Fängen – grüßt nicht nur von Plakaten und
T-Shirts, sondern auch als Tattoo von einigen Oberarmen.
Als uns eine Gruppe von jungen Parteianhängern mit Glat-
zen und kurzenMilitary-Hosen schwulenfeindliche Provo-
kationen hinterherwirft – davor sind offensichtlich auch mit
Eheringen versehene Heteros nicht gefeit –, beschleunigen
wir unsere Schritte. Der Fairness halber sei allerdings auch
erwähnt, dass uns beim Verlassen des Platzes ein gemütlich
rauchender Partei-Security freundlich den Weg zu unserem
Hotel erklärt.
Wir wohnen in Skadarlija. Die klischeehafte Be-
schreibung der Vergangenheit des Viertels als romantisches
„Zigeunerviertel“ im Hotelflur liest sich ein wenig schal,
wenn man zuvor Zeuge wurde, wie ein Kellner eine bet-
telnde Roma-Frau mit Schlägen mit der Speisekarte auf den
Kopf aus dem Lokal vertrieben hat. Inmitten der urbanen
Wucht der serbischen Hauptstadt wirken die Kopfsteingas-
sen und vergleichsweise niedrigen Häuser jedenfalls be-
schaulich. Hier liegen viele traditionelle Gaststätten, in
18 Ausführlich zur Geschichte der Festung: Marko Popovic
´
: The fortress of Belgrade, Belgrad 1991.
Synekdoche, Balkan
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denen fest angestellte Volksmusikgruppen die Gäste unter-
halten. Wir nehmen am Abend Eindrücke wie aus dem Bal-
kan-Klischee-Bilderbuch mit: Bei einer großen Familienge-
sellschaft stehen ältere Frauen von ihren Stühlen auf und
tanzen zu der Musik. An einem anderen Tisch schmettern
junge Männer in weit aufgeknöpften Hemden mit hochge-
stellten Kragen und Silber- und Goldkettchen am Hals die
landessprachlichen Lieder mit. Wir begegnen drei schwer
angetrunkenen Mitarbeitern einer österreichischen Tief-
baufirma, die seit Jahren in verschiedenen Teilen des Landes
eingesetzt sind und uns unterhaltsame Anekdoten über die
hiesigen Geschäftspraktiken ihrer Branche erzählen.
Unser erstes Besichtigungsziel ist das historische
Herz der Stadt: Kalemegdan, die Festung von Belgrad, die
sich auf einem Hügel über dem Zusammenfluss von Donau
und Save erhebt und die einen großartigen Blick über die
Stadt bietet.
18
Hier stand schon das Lager der Legion Flavia
Felix zu Zeiten der römischen Siedlung Singidunum – ein
Name, der wohl auf die vorhergehende keltische Besiedlung
zurückgeht. Die mächtigen Mauern stehen für die Ge-
schichte Belgrads: Von seinen antikenUrsprüngen bis durch
das letztvergangene Jahrhundert blieb Belgrad eine um-
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