Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 4/13) - page 258

Blick auf Sarajevo: am rechten Bildrand die Nationalbibliothek von Bosnien-Herzegowina
Foto: Christoph Huber
ben Prozent Angehörigen anderer Nationalitäten be-
wohnt.
8
Dabei gab es keinerlei ethnische Grenzen, jede Ge-
meinde hatte eine gemischte Bevölkerung. Anders als Slo-
wenien und Kroatien forcierte die bosnische Regierung ur-
sprünglich keinen schnellen Austritt aus Jugoslawien; nach
der internationalen Anerkennung der beiden Länder nach
ihren jeweiligen Unabhängigkeitserklärungen war aber
auch ein Verbleib in einem serbisch dominierten Restjugo-
slawien keine realistische Option mehr. Zugleich hatten so-
wohl kroatische wie serbische Nationalisten kein Interesse
an einem Vielvölkerstaat Bosnien, sondern an einer Auftei-
lung des Territoriums nach ethnischen Gesichtspunkten mit
den muslimischen Bosniern als eindeutigen Verlierern. 1992
wurde in Bosnien ein Referendum zur Unabhängigkeit ab-
gehalten, das von den bosnischen Serben boykottiert wur-
de – von den 64 Prozent der Bevölkerung, die an der Ab-
8 Zu historischen und aktuellen Bevölkerungszahlen und den aktuellen Problemen einer Volkszählung in Bosnien vgl. „Bosnier gegen Bos-
niaken“, Süddeutsche Zeitung vom 07.10.2013, S. 8.
9 Für eine Darstellung der wichtigsten Aspekte des Bosnienkrieges siehe Marie-Janine Calic: Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert,
München 2010, S. 311-325, und den Artikel „Der Zerfall Jugoslawiens und dessen Folgen“ von Holm Sundhaussen, veröffentlicht auf der
Website der Bundeszentrale für politische Bildung:
[Stand: 16. November 2013].
Synekdoche, Balkan
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stimmung teilnahmen, sprachen sich 99 Prozent für einen
eigenen Staat aus. Die bosnischen Serben erklärten darauf-
hin ebenfalls ihre Unabhängigkeit, und es kam zum offenen
Krieg. Radovan Karadzic, Präsident der bosnischen Serben,
residierte nur wenige Kilometer von Sarajevo entfernt in
Pale. Rund um Sarajevo wurde im Frühjahr 1992 ein Bela-
gerungsring durch die Armee der Republika Srpska gezo-
gen, der die Stadt vollkommen isolierte.
9
Es ist keine militärische Leistung, eine Stadt mit
dieser Geografie zu belagern. Sarajevo ist an drei Seiten von
Bergen umgeben. Gleich außerhalb der Innenstadt steigen
die Straßen steil an, die Bebauung wird locker und vorstäd-
tisch. Von den höher gelegenen Vierteln und Hügeln aus
schaut man direkt auf das lang gezogene Stadtzentrum, ge-
teilt von einer breiten Ausfallstraße: die Allee der Hecken-
schützen. Für uns Städtereisende ist dieser Blick auf Gassen,
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