Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 4/13) - page 267

Synekdoche, Balkan
Einsichten und Perspektiven 4 | 13
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36 Vgl. folgenden Bericht:
1953842.html [Stand: November 2013].
Das Museum für zeitgenössi-
sche Kunst an der Save gilt als
Hauptwerk des Architekten
Ivan Antic und verfügt über
eine große Sammlung, ist aber
stark renovierungsbedürftig
und aus Geldmangel bereits
seit Jahren geschlossen.
Foto: Alexander Wulffius
ße – Silicon Valley – hat sich so weit verselbstständigt, dass
er sogar in der offiziellen Touristeninformation auftaucht.
Der
CY
Π
EPMAPKET
liegt, wie der Name sagt, in einem
früheren Supermarkt und bietet Kleidung, Turnschuhe, Bü-
cher, Friseur, Tätowierstube, Massagesalon, Drinks und
asiatische Küche. Den Kaffee trinken wir auf Betonmöbeln
inmitten eines schicken, weltläufigen, durch und durch eu-
ropäischen Publikums.
Neben der Strahinica Bana sind vor allem die
schwimmenden Clubs am Save-Ufer gerade in den warmen
Monaten beliebt. Wir entscheiden uns jedoch für das „Kul-
tural Center Grad“ in einem aufgegebenen Industrieareal
unterhalb der Brankov-Brücke. In betonlastigem Ambien-
te trinkt man entweder Bier im Innenhof oder tanzt in einer
Halle zu elektronisch aufgepeppter Indie-Musik aus den
1990ern und lokalem Techno. Nach Mitternacht machen
wir Bekanntschaft mit Einheimischen: Aurelija aus Novi
Sad hat gerade ihr Gender-Studies-Studium in Budapest ab-
geschlossen und besucht ihren Freund Marko, der in Bel-
grad als Sozialarbeiter arbeitet. Wir nehmen das Angebot
der beiden an, auf eine Party mitzukommen. In der rappel-
vollen Altbauwohnung kriegen wir Selbstgebrannten in ei-
ne leere Desperado-Flasche gefüllt und den – wohl lustig ge-
meinten – Rat mit auf den Weg: “
Don’t look people in the
eyes and don’t mention where you’re from.”
Wir unterhal-
ten uns mit sehr netten und interessanten Menschen, unter
anderem über die bevorstehenden Wahlen, über die politi-
sche Kultur in Serbien und – angeregt durch das unschöne
Erlebnis bei der Ankunft – über die Situation der Homo-
sexuellen im Land.
Die erste Gay Pride in Belgrad im Jahr 2001 muss-
te nach massiven Attacken von Rechtsradikalen, auf die die
Polizei nicht vorbereitet war, abgebrochen werden. In den
folgenden Jahren fand kein Umzug statt. Erst 2010 war die
Regierung unter Präsident Boris Tadic¥ dann entschlossen,
die Rechte der Schwulen und Lesben zu verteidigen. Etwa
1 000 Teilnehmer mussten vor den gewaltbereiten Gegen-
demonstranten geschützt werden. Bei den Straßenschlach-
ten wurden mehr als 100 Menschen verletzt, Teile des Sitzes
der Demokratischen Partei von Präsident Tadic¥ wurden ver-
wüstet.
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Die Reaktion der Regierung auf den Gewaltexzess
bestand darin, die Gay Pride in den nächsten Jahren nicht
mehr zu gestatten. 2013 wurde die Genehmigung einen Tag
vor der geplanten Parade wiederum aus Sicherheitsgründen
kurzfristig zurückgezogen.
Kapitulation des Staates vor gruppenbezogener
Menschenfeindlichkeit und offener Gewaltdrohung – die-
ses ernste Thema hat den Impuls für einen heiteren Film ge-
geben. Die Komödie „Parada“ von Regisseur Srd
´
an Drago-
jevic¥ war in Serbien im Jahr 2011 ein Überraschungserfolg:
Er erzählt die Geschichte, wie die Schwulenaktivisten eine
Gruppe von grobschlächtigen Bürgerkriegsveteranen an-
heuern, um die Belgrader Gay Pride zu schützen.
Für unsere Heimreise haben wir nach der Erfah-
rung mit der bosnischen Bahn eine schnelle Variante ge-
wählt: Wir bestellen im Hotel ein Taxi zum Flughafen.
Wenn man die Strecke vorher telefonisch ankündigt, zahlt
man einen Fixpreis – wie in Belgrad kolportiert wird, war
Bürgermeister Dragan D¥ ilas kurz nach seiner Wahl in einem
Taxi vom Flughafen in die Stadt mit einer Rechnung kon-
frontiert worden, die ihn derart verärgerte, dass die Durch-
setzung solider Taxipreise zu seinen ersten Amtshandlun-
gen zählte. Der Flughafen Nikola Tesla macht seinem Na-
mensgeber alle Ehre. Spannungsfrei und reibungslos bringt
uns moderne Technik in zwei Stunden wieder nach Mün-
chen.
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