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Fortsetzung von Seite 3

deutschland, sondern in der

gesamten westlich-freiheitli–

chen Welt zu beobachten ist.

Wer ehrlich ist gibt zu:

Seit geraumer Zeit vollzieht

sich in den Industrienationen

ein Prozeß, den man mit einem

Vorgang aus der Geographie

vergleichen möchte: Wie kon–

tinentale Erdschollen driften

ältere

Erziehergenerationen

auf der einen Seite und Teile

der nachwachsenden jünge–

ren Generationen auf der an–

deren auseinander. Zwischen

der Erwachsenenwelt hier und

Parzellen der Jugendwelt dort

entwickelt sich das Leben be–

reits so grundverschieden wie

auf getrennten Planeten. Der

Transfer der Lebenserfahrung

von den Älteren zu den Jün–

geren ·- und nichts anderes

meint das Wort Erziehung -

ist empfindlich gestört.

Eine erschrek–

kende Bilanz:

Jeder dritte

junge Mann

ist gerichtlich

verurteilt!

1963

Seit Beginn der

sechzlger Jahre

stieg die Zahl der kriminell

verdächtigen Erwachsenen

um 39 Prozent. Bei den Kin–

dern aber stieg der Wert um

1976

104 Prozent.

BeiJugend–

lichen sogar um 132 Pro–

zent.

•.•der

jugend/rohe

Viele früher selbstverständ–

liche Verbindungen zwischen

alt und jung sind heute ab–

gekuppelt. Aber gerade dies

sollten wir festhalten: die

"Kupplung" getreten zwi–

schen den Generationen, das

haben nicht die Kinder, nicht

die Jugendlichen. Sie tragen

heute nur die Last dieser Ab–

lösUng - bis hin zur Krimina–

lität - nicht aber die Schuld.

Diese geht eindeutig auf an–

derer Leute Konto, im wesent–

lichen auf das Konto jener Er–

ziehungslehre und ihrer Pro–

pagandisten, die die Jugend

bewußt allein ließen, den Er–

ziehungsverzicht einkalkulier–

ten, ja förmlich darauf hin–

arbeiteten, dem erzieherischen

Willen, wo immer er sich zei–

gen mochte, in den Arm zu

fallen. Diese neue "emanzipa–

torische"

Erziehungslehre,

vorgetragen etwa von Herbert

Marcuse und seinem Kreis in

Frankfurt, predigte Freiheit.

Gemeint war Freiheit in einer

sehr primitiven Form: nämlich

als Abschaffung oder Aus–

schaltung möglichst jeder

über die biologische Existenz–

sicherung

hinausgehenden

Einflußnahme der "etablier–

ten" Erziehungskräfte, d. h.der

Eltern, Lehrer, Kirchen.

Die neuen Lernziele, die

man der Jugend aufgab, hie–

ßen .. Befähigung zum quali–

fizierten Ungehorsam", zur

..großen Verweigerung", zum

Konflikt um seiner selbst wil –

len. Das Erziehungsgeschäft

sollte allein der ..natürlichen"

Selbstentfaltung und Selbst–

findung der Jugend anheim–

gegeben werden. Die Väter

dieser

Emanzipations- Päd–

agogik ahnten nicht daß die

umfassende Autonomie der

Unmündigen, die sie predig–

ten, sehr bald beim selbstän–

digen Zulangen im Kaufhaus

enden würde.

Nach einem Jahrzehnt se–

hen wir klar, wohin die Päd–

agogik des Laufenla'ssens mit–

samt dem aggressiven Feind–

bild von der Familie, das sie

der Jugend einspiegelte, ge–

führt hat. Die zur Disposition

gestellte Disziplin, das Ver–

miesen positiver Vorbilder,

dasVerketzern von Kirche und

Staat, die Verspottung von

Ehe, Treue und Keuschheit

als "fossile Lebensformen",

das statt dessen zum Fort–

schritt gestempelte schran–

kenlose Ausleben der Triebe

bis hin zur erlaubten ..Gewalt

gegen Sachen"- dieses ganze

Blendwerk der antiautoritären

Erziehungspropaganda - was

haben wir damit letztlich ge–

wonnen?

Der versprochene .,neue

Mensch" wurde nicht hervor–

gebracht. Im Gegenteil: Die

Immer mehr Ehen

gehen kaputt -

das Leid tragen

die Kinder!

1963

Zu Anfang der

sechziger Jahre

kamen in Westdeutschland

auf 100 neu geschlossene

Ehen 10 Scheidungen. Seit·

1976

her verschlech·

terte sich die

Lage rapide. Heute gibt es

fast 30 Scheidungen pro

100 Trauungen.

ganze Bewegung hat sich als

ein einziges Verlustgeschäft

herausgestellt. Nicht mehr

Glück entstand, sondern we–

niger. Die Demontage der ver–

trauten Ordnung und der Ab–

bau

d~r

bewährten Lebens–

stützen schuf eben nicht auto–

matisch mehr Schönheit, mehr

Freude im Leben der Jugend.

Was zunahm, waren Labilität,

Leere, Unsicherheit Unlust,

Unzufriedenheit und neuer–

dings immer besorgniserre–

gender: die kriminelle Anfäl–

ligkeit.

Keine Jugend ist von sich

aus prädestiniert zur Kr'

:~lität. Nach

10

Jahren ,_ . n–

zipationserziehung und anti–

autoritärem Rummel aber steht

fest daß ein Teil unserer jun–

gen Leute heute viel stärker

prädisponiert ist dafür. Das

Potential des Bösen hat zu–

genommen.

Antiautoritäre Erziehungs–

propaganda, vom Meinungs–

druck der Massenmedien nach

Kräften unterstützt und er–

muntert, hat allzu viele Eltern

heute zur Kapitulation ge–

zwungen. Viele haben darüber

hinaus freiwillig auf ihre Er–

zieherrolle verzichtet - aus

Resignation, aus Verunsiche–

rung, und, geben wir es zu,

bequem war's schließlich

auch! Das Treibenlassen, das

Schleifen- und Hängenlassen

der Zügel, der

ängstlich~>

Ver–

zicht auf kindlichen

or–

sam und sinnvolle Disz1 lin -

das alles kam doch dem gän–

gigen Konsumdenken unserer

Überflußgesellschaft sehr ge–

legen.

Nicht ·allein Kriminologen,

sondern auch Ärzte wissen

ein Lied zu singen von den

Folgen. ln ihren Wartezim–

mern nämlich sitzen heute die

Früchte der allzu frühzeitig in

die Freiheit Entlassenen: über–

nervöse junge Leute, unfähig,

normalen Belastungen stand–

zuhalten, etwas durchzuhal–

ten, die Zähne zusammenzu–

beißen. Angefüllt von Selbst–

mitleid, sind sie nicht willens,

lebensnotwendige Leistungen

zu erbringen, und gerade

darum immerfort beherrscht

von dem Gedanken. durch die

Umwelt gestreßt zu sein. Oie