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ie war das Thema Schule

so in aller Munde wie

heute. Wohin wir blik–

ken, dehnt sich eine

Schul- und Bildungsland–

schaft ohnegleichen: Vom

Kindergarten über die vielen

Formen beruflicher Schulen

bis hin zu Fachhochschulen

und Universitäten. Ausgerü–

stet mit dem Besten und

Teuersten - vom akademisch

gebildeten Lehrer bis zum Vi–

deorecorder und elektroni–

schen Lernprogramm - ist

dieses hochorganisierte Sy–

stem ausgerichtet auf das ein–

zige Ziel: Unseren Kindern

mehr Chancen zu geben, der

Jugend die Wege zu ebnen,

das Beste aus ihrem Leben zu

machen.

Das alles müßte uns eigent–

lich froh und glücklich stim-

. Warum aber mischen

.....,1

Zweifel in die Zufrieden–

heit? Ist etwa doch nicht alles

im Lot in unserem hochorga–

nisierten

Bildungssystem?

Haben wir Grund zur Sorge?

Tatsächlich begegnen wir in

jüngster Zeit Meldungen, die

uns unruhig machen. Wir wer–

den konfrontiert mit Dingen,

die nicht in unseren Kopf wol–

len. Schweigen wir von der

menschliches Begreifen über–

steigenden Grausamkeit der

Terroristen.Aber reden wir zum

Beispiel von einer unschein–

baren Zeitungsnachricht, die

erst vor wenigen Wochen zu

lesen war. Nicht als Schlag–

zeile, sondern als kleine ein–

spaltige Meldung stand auf

Seite 7 einer Tageszeitung:

"Jeder dritte junge Mann in

der Bundesrepublik ist minde–

stens einmal wegen eines Ver-

brechens oder Vergehens ge–

richtlich verurteilt · worden.

Dies sagte die Kriminaldirek–

torin Helene Timpe aus Mün–

ster bei der ersten europä –

ischen Polizei-Jugendkonfe–

renz in Aachen, an der neun

Nationen teilnahmen. Nach

ihren Angaben hat die Zahl

der Tatverdächtigen insge–

samt in der Bundesrepublik

von 1963 bis 1976 um 39

Prozent auf knapp 1,2 Millio–

nen zugenommen. Bei den

Heranwachsenden betrage der

Anstieg jedoch 77 Prozent,

bei Kindern 104 Prozent und

bei Jugendlichen sogar 132

Prozent. Unter den jugend–

typischen Delikten ragen nach

Angaben der Kriminalistin Ei–

gentums- und Gewaltkrimi–

nalität besonders stark her–

aus."

D

ürfen wir bei solchen

Befunden achselzuckend

zur Tagesordnung über–

gehen und uns damit

trösten, daß es ja trotz des

alarmierenden Prozentanstiegs

immerhin erst eine relative

Minderheit von Jugendlichen

ist, die kriminell "auffällig" ist?

Die Mehrheit ist doch nach

wie vor in Ordnung.

In Frankfurt gibt es 1800

Telefonhäuschen. Im letzten

Jahr wurden 680 davon mut–

willig zerstört. Die Täter- so–

weit feststellbar: Jugendliche.

Für den allein in Telefonzellen

mutwillig angerichteten Scha–

den zahlt die Bundespostjähr–

lich 7,5 Millionen DM.

Eine Umfrage der Redak–

tion SCHULE

&

WIR bei mehr

als tausend Hauptschulen er–

gab, daß immerhin 180 davon

Roheitsdelikte unter den

Schülern meldeten. Etwa die

Hälfte dieser Schulen konsta–

tierte zunehmende Häufigkeit.

27 Schulen meldeten darüber

hinaus Tätlichkeiten gegen

Lehrer. Gewiß - in den be–

fragten mehr als tausend

Schulen werden rund drei–

hunderttausend Kinder unter–

richtet. Die überwältigende

Mehrheit der Schüler ist also

charakterlich, menschlich in–

takt. Kriminell auffällig sind

wirklich nur die allerwenig–

sten Schüler, ein winziges

Grüppchen. Es wäre aber

völlig falsch, diese Zahlen

und Steigerungsraten gering

zu schätzen, die Vorkomm–

nisse dadurch zu bagatellisie–

ren, daß man sie in Promille–

werten der nichtauffälligen

jungen Leute ausdrückt.

Raufhändel,

Rivalitäten-

streit und kindliche Verschwö–

rerbanden hat es zu allen Zei–

ten gegeben. In unseren Ta–

gen aber ändert sich, so

scheint es, die Szene. Ein

Schlagabtausch mit harten

Bandagen löst · die Lausbu–

bengeschichten vergangener

Tage ab.

Mitgehen lassen, klauen,

klemmen, organisieren - so

nennt sich salopp, was in

Wirklichkeit ein höchst be–

sorgniserregenderVorgang ist:

der explosionsartige "Auf–

schwung" von Eigentumsde–

likten, insbesondere von Kauf–

hausdiebstählen. Er hat in

Westdeutschland mittlerweile

den gigantischen Gegenwert

von 300000 Volkswagen pro

Jahr erreicht! Zahlenmäßig

die größte "Berufsgruppe"

stellen dabei die Schüler. Vor

allem auch Mädchen entwik–

keln neuerdings "Stibitzen"

zum Breitensport.

Die Motivlage dieser Krimi–

nalität ist keineswegs Armut,

Not und Elend. 99 von hun–

dert Langfingern haben we–

sentlich mehr Geld bei sich

als der Wert der gestohlenen

Waren ausmacht! Nicht Not

macht also Jugend- Diebe,

sondern Begehrlichkeit, Be–

reicherungslust, Prestigebe–

dürfnis, nachlassende Selbst–

beherrschung und Disziplin,

unterentwickeltes oder be–

täubtes RechtsgefühL

W

as läuft falsch in unse–

rer technisch so per–

fekten Bildungsland–

schaft? Warum be–

obachten wir plötzlich in ihr

Risse, blicken in Erdspalten,

die es früher nicht gab? Wenn

Kinder- und Jugendkrimina–

lität so erschreckend wächst,

wenn Vandalismus nicht nur

vereinzelt hier und dort, son–

dern massiv zuschlägt, wenn

sogar die Bildungsstätten

selbst immer häufiger zum

Tatort werden, dann tut

gründliche Besinnung not.

Ist es zu hoch gegriffen,

wenn man - dieses Feld

schlimmer

Beobachtungen

und Sorgen überblickend -

nicht umhin kann, ein offen –

kundiges

Erziehungsversa–

gen, eine tiefe Erziehungs–

krise unserer Zeit festzustel–

len? Es muß mit Nachdruck

wiederholt werden: Wir spre–

chen von einer Minderheit,

von einer Bewegung, die erst

ihrenAnlauf nimmt und selbst–

verständlich nicht nur in Süd-

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