Einsichten und Perspektiven (1|13): Vertrag von Lissabon - page 8

Europa der Regionen
Einsichten und Perspektiven 2 | 13
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Formel für ein
bürgernahes Europa:
Subsidiarität
nach Artikel 5
des Vertrags über die
Europäische Union
Darf die Europäische Union
überhaupt tätig werden?
Die EU darf nur innerhalb
der Zuständigkeiten tätig
werden, die ihr von den
Mitgliedstaaten in den
Verträgen ausdrücklich
übertragen wurden.
In welchem Umfang
darf sie tätig werden?
Wo die EU nicht allein zu-
ständig ist, darf sie nur
tätig werden, wenn ein Ziel
auf europäischer Ebene
besser erreicht werden
kann als in den einzelnen
Mitgliedstaaten
(Subsidiaritätsprinzip).
Wer kontrolliert die
Einhaltung der Regeln?
Die nationalen Parlamente
überprüfen jeden Entwurf
der EU-Gesetzgebung auf
die Einhaltung des Subsi-
diaritätsprinzips und geben
ihre Stellungnahme dazu ab.
Wird gegen das Prinzip ver-
stoßen, können die Mitglied-
staaten, auch im Auftrag
ihrer Parlamente, beim
Europäischen Gerichtshof
Klage dagegen erheben.
Ihre Maßnahmen müssen
in einem angemessenen
Verhältnis zu den ange-
strebten Zielen stehen.
ZAHLENBILDER
7
Grafik: Bergmoser + Höller
folgt ist. Die Mitwirkung am Subsidiaritätsnetzwerk stellt
sich somit als eine Einbahnstraße dar.“
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Die Mobilisierung
der Regionen europaweit in Subsidiaritätsfällen innerhalb
von acht Wochen ist zudem eine anspruchsvolle logistische
und politische Aufgabe, die ohne infrastrukturelle Vorbe-
reitung und die frühzeitige Beobachtung von Initiativen der
Kommission nicht zu leisten ist und selbst dann noch in ih-
ren Möglichkeiten beschränkt bleibt. § 2 des EUZBLG ver-
pflichtet die Bundesregierung zur umfassenden und frü-
hestmöglichen Unterrichtung des Bundesrates „über alle
Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union, die für die
Länder von Interesse sein könnten“.
Erreicht die Zahl begründeter Stellungnahmen
mindestens ein Drittel der Gesamtzahl der nationalen Par-
lamente, so muss der europäische Gesetzentwurf überprüft
werden. Jedes nationale Parlament verfügt dabei über zwei
Stimmen, sodass in Deutschland Bundestag und Bundesrat
je eine Stimme zukommt. Bei Gesetzesvorhaben betreffend
den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Jus-
tiz- und Innenpolitik) reicht ein Viertel der Gesamtzahl der
nationalen Parlamente für einen Einspruch. Erreicht die
Zahl der begründeten Stellungnahmen im Rahmen des or-
dentlichen Gesetzgebungsverfahrens eine einfache Mehr-
heit der Gesamtzahl der den nationalen Parlamenten zuge-
wiesenen Stimmen, so wird ein besonderes Verfahren
ausgelöst, das unter bestimmten Bedingungen dazu führen
kann, dass der EU-Gesetzgeber (Rat und Europäisches Par-
lament) einen Gesetzgebungsvorschlag nicht weiterprüft.
Den Mitgliedstaaten ist es auch möglich, im Namen ihrer
Parlamente beim Gerichtshof der Europäischen Union we-
gen des Verstoßes eines Gesetzgebungsaktes der EU gegen
das Subsidiaritätsprinzip Klage zu erheben. Letztere Mög-
lichkeit scheint in der politischen Praxis die wahrscheinli-
che zu sein, wahrscheinlicher als die Alternative der Koor-
dination einer ganzen Reihe von Parlamenten in den
Mitgliedsländern. Die Bundesregierung hat sich verpflich-
tet, auf Verlangen des Bundesrates von den im Lissabon-
Vertrag vorgesehenen Klagemöglichkeiten Gebrauch zu
machen, „soweit die Länder durch ein Handeln oder Un-
terlassen von Organen der Union in Bereichen ihrer Ge-
setzgebungsbefugnisse betroffen sind und der Bund kein
Recht zur Gesetzgebung hat.“ (§ 7 EUZBLG)
Nationale Beteiligung an der Europapolitik
Den Ländern gelang es nicht, ihre ausschließliche Gesetz-
gebungskompetenz auf Dauer wirkungsvoll vor dem Sog
der Europäisierung zu schützen. Es musste deshalb ihr Be-
streben sein, wenigstens die nach einer verbindlichen Kom-
petenzabgrenzung der politischen Ebenen EU, Bund und
Länder zweitbeste Lösung zu erreichen, nämlich ihre mög-
liche Mitsprache durch den Bundesrat bei EU-Entschei-
21 Peter Bußjäger: Frühlingserwachen? Über die aufkeimende Liebe der regionalen und nationalen Parlamente an der Mitwirkung in der Eu-
ropäischen Union, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (Hg.): Jahrbuch des Föderalismus 2009, Baden-Baden
2009, S. 503−513, hier S. 512.
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