Einsichten und Perspektiven (1|13): Vertrag von Lissabon - page 13

32 Wilhelm Schönfelder: Föderalismus: Stärke oder Handicap deutscher Interessenvertretung in der EU(II), in: Rudolf Hrbek (Hg.): Europa-
politik und Bundesstaatsprinzip, Baden-Baden, 2000, S. 75−79, hier S. 77.
33 Silvia Raich: Grenzüberschreitende und interregionale Zusammenarbeit in einem „Europa der Regionen“, Baden-Baden 1995.
34 Gregor Halmes: Das Karlsruher Übereinkommen und seine bisherige Umsetzung, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung
Tübingen (Hg.): Jahrbuch des Föderalismus 2000, Baden-Baden 2000, S. 428−438.
Nach der Verabschiedung des Maastrichter Vertrages ver-
änderte sich auch der Status der Länderbüros. Sie werden
von der Region Brüssel nicht mehr als privatrechtliche Lob-
byorganisationen behandelt, sondern sind heute Körper-
schaften des öffentlichen Rechts. Damit erhalten sie gewis-
se Privilegien wie Steuerfreiheit. Eine Reihe von Ländern
bezeichnet ihre Brüsseler Dependancen inzwischen nicht
mehr als Informationsbüros, sondern in Anlehnung an die
Bezeichnung für ihre Vertretungen beim Bund als „Landes-
vertretungen“. Im Paragrafen 8 EUZBLG ist festgehalten,
dass die Länderbüros keinen diplomatischen Status haben.
Die Bundesregierung hält die Umbenennung der Länder-
büros in „Vertretungen“ für verfassungsrechtlich und ge-
sandtschaftsrechtlich bedenklich und billigt diese Bezeich-
nungen nicht.
32
Außerhalb des EU-Institutionengefüges, aber häu-
fig gefördert durch die EU, vor allem durch INTERREG-
Mittel, haben sich zahlreiche Formen der Zusammenarbeit
von europäischen Regionen herausgebildet, an denen sich
auch die Länder im Rahmen ihrer Politik in Europa beteili-
gen. Zu unterscheiden ist hier einerseits die interregionale
Zusammenarbeit, also entsprechend der internationalen
Zusammenarbeit von Staaten die internationale Zusammen-
arbeit von Regionen in der EU, nicht selten aber auch von
EU-Regionen und von Regionen außerhalb der EU. Und
andererseits die grenzüberschreitende Zusammenarbeit,
welche Grenzregionen zusammenbringt, die sich darum be-
mühen, die negativen Folgen von Grenzziehungen zu über-
winden, da Grenzen gemeinsame Wirtschaftsräume ebenso
behindern können wie gemeinsame Problemlösungen für
die Optimierung der Lebensbedingungen der Bevölkerung
diesseits und jenseits von Grenzen. Besonders dysfunktio-
nal sind Grenzziehungen, die Hürden für die regionale
Wirtschaftsentwicklung im Europäischen Binnenmarkt er-
richten.
In dem Versuch der Lösung gemeinsamer Proble-
me liegt das Erfolgsgeheimnis grenzüberschreitender
Zusammenarbeit.
33
Wie auch bei der interregionalen Zu-
sammenarbeit traf diese zunächst auf Vorbehalte bei natio-
nalen Regierungen, die ihr Monopol in der Außenpolitik
bedroht sahen. Die deutschen Länder haben sich mit gro-
ßem Erfolg Spielräume in der grenzüberschreitenden Zu-
sammenarbeit gesichert. 1992 wurde in Artikel 24 des
Grundgesetzes Absatz 1a eingeführt. Er bestimmt: „Soweit
die Länder für die Ausübung der staatlichen Befugnisse und
die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zuständig sind, kön-
nen sie mit Zustimmung der Bundesregierung Hoheits-
rechte auf grenznachbarschaftliche Einrichtungen übertra-
gen.“
Damit kann − zumindest was die deutschen Part-
ner angeht − über grenzüberschreitende Tourismusför-
derung ebenso problemlos entschieden werden, wie über
grenzüberschreitende Umweltprogramme oder Wirt-
schaftshilfen. Der Karlsruher Vertrag von 1996
34
hat
Deutschland, Frankreich, die Schweiz und Luxemburg als
Vertragspartner eines internationalen Vertrages zusammen-
gebracht, der mit Zustimmung der betroffenen National-
staaten einen Rahmen absteckt, innerhalb dessen deren
Grenzregionen ohne die Notwendigkeit, sich permanent
der Zustimmung der nationalen Regierungen zu versichern,
ihre interregionale grenzüberschreitende Zusammenarbeit
frei gestalten können. Als Rechtsgrundlage hierfür wurden
erstmals die Möglichkeiten des Artikels 24 Absatz 1a
Grundgesetz genutzt. Binationale Einrichtungen können
zu ihrer Eigenfinanzierung diesseits und jenseits der Gren-
ze auch Gebühren erheben. Kooperationsfelder für die
Grenzregionen, zum Beispiel im Oberrheingebiet, sind un-
ter anderem Industrieansiedelungsprojekte, Verkehrsver-
bünde, Müll- und Abwasserentsorgung, Straßenbau, Ge-
wässerschutz oder Flächennutzungspläne.
Fazit: Ein „Europa mit Regionen“
Auch wenn der Traum europäischer Regionalisten vom En-
de des Nationalstaats in der EU nicht wahr wurde, ist es den
Regionen gelungen, sich Anerkennung und Gehör auf eu-
ropäischer Ebene zu verschaffen. Seit dem Lissabon-Ver-
trag sind die europäischen Verträge nicht mehr „regionen-
blind“. In Artikel 4 Absatz 2 EUV heißt es: „Die Union
achtet die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen
und ihre jeweilige nationale Identität, die in ihren grundle-
genden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen
einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung
zum Ausdruck kommt.“ Statt eines „Europas der Regio-
nen“ wurde ein „Europa mit Regionen“ verwirklicht. Für
die deutschen Länder und insbesondere die Landesparla-
mente bedeutet die europäische Integration dennoch eine
institutionelle und politische Schwächung, die durch die Be-
teiligungsmöglichkeiten bei EU-Entscheidungen nicht
kompensiert werden konnte.
Europa der Regionen
Einsichten und Perspektiven 2 | 13
124
1...,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12 14
Powered by FlippingBook