Einsichten und Perspektiven (1|13): Vertrag von Lissabon - page 10

Europa der Regionen
Einsichten und Perspektiven 2 | 13
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Durch eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundesra-
tes erhielten die Beschlüsse dieser Kammer dieWirkung von
Beschlüssen des Bundesrates. Mittlerweile hat die EG-
Kammer Verfassungsrang. Der 1992 ins Grundgesetz auf-
genommene Artikel 52 Absatz 3a lautet: „Für Angelegen-
heiten der Europäischen Union kann der Bundesrat eine
Europakammer bilden, deren Beschlüsse als Beschlüsse des
Bundesrates gelten.“ Ort der europapolitischen Willensbil-
dung im Bundesrat ist heute aber eher sein EU-Ausschuss
als die mit vielen Erwartungen versehene Europakammer.
Letztere hat seit Maastricht nur neunmal getagt (bis
Ende der Legislaturperiode 2005
23
). Von diesen Treffen wa-
ren einige zudem eher technischer Natur. Der dreiwöchige
Sitzungsrhythmus des Bundesrates hat sich auch nach Mei-
nung des EU-Ausschusses
24
als ausreichend für die Abstim-
mung der Landespolitiker in Europafragen erwiesen.
Aus Anlass der Ratifizierung des Vertrags von
Maastricht 1992 bot sich den Ländern eine weitere Gele-
genheit, dem Bund eine deutlichere Berücksichtigung ihrer
Interessen in der Europapolitik abzutrotzen. Die Länder
machten ihre Zustimmung zu den durch Maastricht not-
wendig werdenden Grundgesetzänderungen (Einführung
der Unionsbürgerschaft und der Europäischen Zentral-
bank) von einer stärkeren Verbindlichkeit des Bundesrats-
verfahrens abhängig. Als Ergebnis der Verhandlungen der
Länder mit dem Bund wurde 1992 ein neuer Artikel, Arti-
kel 23 (Europäische Union), in das Grundgesetz aufgenom-
men. Der Artikel 23 nennt alle Rechte der Länder in der Eu-
ropapolitik: das Informationsrecht (Artikel 23 Absatz 2);
das Recht zur Stellungnahme (Artikel 23 Absatz 3); das
Recht zur Beteiligung an der Willensbildung des Bundes
analog innerstaatlicher Regelungen (Artikel 23 Absatz 4);
die Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates,
wenn ausschließliche Kompetenzen der Länder berührt
sind (Artikel 23 Absatz 5) sowie die Möglichkeit, dass die
Länder in die Rolle der Vertretung Deutschlands in der EU
schlüpfen: „Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetz-
gebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schuli-
schen Bildung, der Kultur und des Rundfunks betroffen
sind.“ (Artikel 23 Absatz 6). Das konkrete Benennen von
Kompetenzbereichen ist Ergebnis der Föderalismusre-
form I.
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Mit dieser wurde nicht nur Artikel 23 neu gefasst,
sondern auch die finanzielle Verantwortung der Länder für
Europäisierungsfolgen festgeschrieben. Setzten in der Ver-
gangenheit einzelne Länder EU-Gesetzgebung nicht um
22 Roland Sturm, Heinrich Pehle: Das neue deutsche Regierungssystem,
3
Wiesbaden 2012.
23 Konrad Reuter: Praxishandbuch Bundesrat,
2
Heidelberg 2007, S. 704.
24 Lars von Dewitz: Der Bundesrat − Bilanz der Arbeit im EU-Ausschuss seit 1992, in: Franz H.U. Borkenhagen (Hg.): Europapolitik der
deutschen Länder, Opladen 1988, S. 69−83, hier S. 73.
25 Roland Sturm: Die Föderalismusreform 2006 – Deutschland in besserer Verfassung?, in: Gesellschaft − Wirtschaft − Politik 55 (4), 2006,
S. 459−470.
1
Einheitliche
Europäische Akte
2
Vertrag von Maastricht
Politische Union
3
Vertrag von Maastricht
Wirtschafts-
und Währungsunion
4
Vertrag von Amsterdam
5
Vertrag von Nizza
©
Regierungskonferenzen
zur Änderung der europäischen Grundverträge
6
Vertrag über eine
Verfassung für Europa
7
Vertrag von Lissabon
Initiativen zur Änderung der Verträge
Vertragsänderungsverfahren laut Vertrag von Lissabon
Konvent
Nationale
Regierungen
Europäisches
Parlament
Europäische
Kommission
Mitgliedstaaten
Regierungskonferenz
prüft die Änderungsvorschläge
ratifizieren die Vertragsänderung
beschließt die Vertragsänderung
1985/86
1990/91
1990/91
1996/97
2000
2007
2003/04
ZAHLENBILDER
Grafik: Bergmoser + Höller
1,2,3,4,5,6,7,8,9 11,12,13,14
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