Einsichten und Perspektiven (1|13): Vertrag von Lissabon - page 7

16 Anna Gamper: Die Regionen mit Gesetzgebungshoheit. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zu Föderalismus und Regionalismus in
Europa, Frankfurt etc. 2004.
17 Zitiert nach Thomas Wiedmann: Abschied der Regionen vom AdR − Der Ausschuss der Regionen vor der Zerreißprobe, in: Europäischen
Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (Hg.): Jahrbuch des Föderalismus 2002, Baden-Baden 2002, S. 541−551, hier S. 545 f.
18 Andreas Kiefer: Informelle effektive interregionale Regierungszusammenarbeit: REG LEG − die Konferenz der Präsidenten von Regionen
mit Gesetzgebungsbefugnissen und ihre Beiträge zur europäischen Verfassungsdiskussion 2000 bis 2003, in: Europäisches Zentrum für Fö-
deralismus-Forschung Tübingen (Hg.): Jahrbuch des Föderalismus 2004, Baden-Baden, 2004, S. 398−412, hier S. 411 f.
19 Gerhard Stahl, Christian Gsodam: Das Subsidiaritätsnetzwerk des Ausschusses der Regionen, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-
Forschung Tübingen (Hg.): Jahrbuch des Föderalismus 2008, Baden-Baden 2008, S. 555−569.
20 Gerhard Stahl, Manfred Degen: Das Subsidiaritätsnetzwerk des Ausschusses der Regionen, Manuskript, 2010.
nicht, wie sie gehofft hatten, den Präsidenten oder Vize-
präsidenten des AdR zu stellen. Erst für die erste Hälfte der
zweiten Amtsperiode des AdR von 1998 bis 2000 wurde
Manfred Dammeyer (Nordrhein-Westfalen) zum AdR-
Präsidenten gewählt. AdR-Präsident in der zweiten Hälfte
der dritten Amtszeit des AdR von 2004−2006 wurde der ba-
den-württembergische Landtagspräsident Peter Straub.
Daraus sollte nicht geschlossen werden, dass der
AdR als Vertretungsorgan für die deutschen Länder an Be-
deutung gewann. Eher scheint das Gegenteil der Fall zu
sein. Die deutschen Länder − wie auch andere europäische
Regionen − sahen mit wachsendem Unbehagen, dass der
AdR aus ihrer Sicht zu stark auf kommunale Interessenver-
treter Rücksicht nahm und zu wenig deutlich regionale In-
teressen in den Entscheidungsprozess der EU einzuspeisen
verstand. Im Vorfeld des Europäischen Rates von Nizza
(2000) initiierte die belgische Region Flandern eine neue
Ebene regionaler Zusammenarbeit, um der Kompetenzaus-
weitung der EU auf Kosten der Regionen entgegenzutreten.
Diese Flandern-Initiative war der Beginn einer auf
Dauer angelegten Zusammenarbeit der „konstitutionellen
Regionen“ (also der Regionen, die im nationalen Kontext
Verfassungsrang haben und Legislativaufgaben wahrneh-
men; abgekürzt: RegLeg), an der sich zunächst neben Flan-
dern, das belgische Wallonien, Nordrhein-Westfalen, Bay-
ern, Katalonien, Schottland und Salzburg beteiligten.
16
In
einer „Politischen Erklärung“ vom 28. Mai 2001 stellten
diese Regionen im Bezug auf den AdR fest: „Die konstitu-
tionellen Regionen sind mit dem gegenwärtigen institutio-
nellen Rahmen, in dem der Ausschuss der Regionen die In-
teressen der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften
wahrnimmt, nicht zufrieden. Die konstitutionellen Regio-
nen haben Bedenken, ob der Ausschuss der Regionen in sei-
ner derzeitigen Gestalt und mit seinem gegenwärtigen insti-
tutionellen Status den Bedürfnissen und Anliegen der
Regionen gerecht werden kann.“
17
Bisher haben die „kon-
stitutionellen Regionen“ ihre Mitarbeit im AdR nicht auf-
gekündigt, und der AdR tut schon aus Eigeninteresse sein
Möglichstes, um seine einflussreichsten Mitglieder einzu-
binden. Die Stärkung des AdR im Lissabon-Vertrag hat die
RegLeg-Gruppe dazu bewogen, dem AdR Unterstützung
für seine neue Rolle anzubieten, ohne allerdings ihre eigen-
ständigen Initiativen einzuschränken.
18
Sie bilden nun eine
interregionale Gruppe innerhalb des AdR, neben anderen
themenbezogenen interregionalen Gruppen.
Die Subsidiaritätskontrolle
Die nationalen Parlamente − und damit auch der Bundes-
rat − sollen nach dem Vertrag von Lissabon eine größere
Rolle in der europäischen Politik spielen (Artikel 12 EUV,
Protokoll Nr. 1). Zum einen werden die nationalen Parla-
mente unmittelbar über Dokumente der Kommission und
die Tagesordnungen und Protokolle der Ratstagungen un-
terrichtet. Zum anderen wurde ein Mechanismus der Subsi-
diaritätskontrolle ins Leben gerufen, der ungerechtfertigte
Kompetenzübertragungen nach Brüssel verhindern soll.
Die nationalen Parlamente oder die Kammern ei-
nes nationalen Parlaments (im deutschen Fall wäre das auch
der Bundesrat) können binnen acht Wochen nach dem Zeit-
punkt der Übermittlung des Entwurfs eines Gesetzge-
bungsakts der EU in einer begründeten Stellungnahme an
die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rates
und der Kommission darlegen, weshalb der Entwurf ihres
Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist.
Für die Länder bedeutet dies nicht nur die Möglichkeit, ei-
nen solchen Prozess im Bundesrat anzustoßen, sondern
auch die Notwendigkeit, durch Kooperation mit anderen
europäischen Regionen für einen Einspruch in der EU zu
mobilisieren.
Hilfestellung hierfür könnte das Subsidiaritäts-
netzwerk des Ausschusses der Regionen bieten. Kernstück
des Netzwerkes ist eine interaktive Internetplattform, die
zwischen 2005 und 2007 errichtet wurde.
19
Das Netzwerk
hatte im Juli 2010 113 Mitglieder, darunter 27 Regionalpar-
lamente mit Gesetzgebungsbefugnis und 21 Regionalregie-
rungen.
20
Die Kriterien für die Erlaubnis zur Teilnahme am
Subsidiaritätsnetzwerk kontrolliert der AdR. Dies ist nicht
unbedenklich hinsichtlich des eigenständigen Überwa-
chungsanspruchs der deutschen Länder: „Der AdR sam-
melt wie in einer Blackbox die Subsidiaritätsanalysen. Es
hängt vom Ermessen des Berichterstatters ab, in welcher
Form er auf die mitunter sehr verschiedenartigen Ergeb-
nisse der Analysen Bezug nimmt. [...]DieMitwirkenden des
Netzwerks erhalten nicht einmal eine Information, inwie-
weit der AdR in seiner Stellungnahme ihren Bedenken ge-
Europa der Regionen
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