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Einsichten und Perspektiven 1 | 18

Interview mit Jimmy Hartwig

bände des DFB und trete dabei mit denjenigen in Kon-

takt, die sich engagieren – etwa, wenn ein Fußballverein

Flüchtlinge zum Fußballspielen einlädt oder eine Schule

mit Kindern aus vielen Ländern oder unterschiedlichen

Sozialschichten den Fußball nutzt, um Gemeinschaft zu

gestalten. Ich leiste meine Arbeit also an der Basis – ich

gehe dorthin, wo der Fußball so viel mehr leistet als nur

das Spiel auf dem Platz.

Was leistet der Fußball neben dem Platz?

Es gibt keinen besseren Integrationsmotor als die weltweit

beliebteste Teamsportart. In einem Einwanderungsland

wie Deutschland bringt er Menschen unterschiedlichs-

ter Herkunft zusammen. Die Zahlen sprechen doch für

sich: Fast ein Fünftel der rund sieben Millionen DFB-

Mitglieder hat einen Migrationshintergrund – und wir

hatten in den letzten zwei Jahren in Deutschland mehr

als 40.000 Anträge von Ausländern für einen Spielerpass.

Das zeigt auch, dass sehr viele geflüchtete Menschen sehr

gerne Fußball spielen – und beim Spielen das Vertraute im

Fremden finden.

Sie waren einst der zweite farbige Spieler in der Bundesliga.

Inwiefern hilft Ihnen Ihre eigene Geschichte bei der Arbeit

als Integrationsbotschafter?

Ohne meine Erfahrungen von damals würde ich heute

nicht als DFB-Integrationsbotschafter vor Ihnen sitzen,

das wäre nicht glaubwürdig. Damals habe ich erleben

müssen, wie bei Spielen mit meiner Beteiligung Bananen

aufs Feld geflogen sind – ich musste einmal sogar ein Fuß-

ballspiel im Übertragungswagen verfolgen, weil mir vor-

her gewisse Gruppierungen schlimme Ansagen gemacht

haben. Derartige Vorfälle lassen sich in der Bundesliga

heute eigentlich nicht mehr beobachten – das hat übri-

gens auch mit der starken Arbeit zahlreicher Fanprojekte

und sogar von Ultra-Gruppierungen zu tun. Leider müs-

sen wir aktuell aber wieder feststellen, dass die Fremden-

feindlichkeit nicht aus allen Köpfen verschwunden ist. Ich

empfinde das als sehr beunruhigend.

In den Bundesliga-Stadien sind Gewalt und Rassismus also

vergleichsweise seltener zu beobachten. Als DFB-Integrati-

onsbotschafter sind sie ja auch im Amateurfußball unter-

wegs – wie sieht es dort aus?

Der DFB erhebt seit einigen Jahren ein Lagebild des Ama-

teurfußballs – und dieses Bild ist durchaus positiv: In der

jüngsten Ausgabe wurde festgehalten, dass der Schieds-

richter in über 99 Prozent der Spiele weder einen Gewalt-

vorfall noch eine Diskriminierung notierte – und das bei

mehr als 1,3 Millionen erfassten Spielen. Das zeigt uns

doch: In der ganz großen Mehrheit sind im deutschen

Fußball eben weltoffene Menschen und keine Rassisten

unterwegs.

Trotzdem und gerade vor dem Hintergrund erstarkender

rechter Bewegungen in der Gesellschaft ist Ihre Aufgabe so

wichtig. Was würden Sie als Integrationsbotschafter gerne

noch erreichen?

In meiner Rolle kann ich nur unermüdlich dazu aufrufen,

die Integration selbst in die Hand zu nehmen. Ich hoffe,

ich kann den Menschen vermitteln, wie wichtig und

bereichernd es sein kann, auf Fremde zuzugehen. Gerade

im Umgang mit Flüchtlingen eröffnen sich oft neue Per-

spektiven auf das Leben. Wozu denn Barrieren aufbauen?

Die Energie, die man so vergeudet, sollte man besser in

ein positives Engagement stecken. Immer nur jammern,

schimpfen oder Schlimmeres: damit verbessert man rein

gar nichts!

Wenn es am Ende keine Rolle mehr spielt, welche Her-

kunft, welche Religion oder welches Geschlecht der Trai-

ner beim Verein um die Ecke oder das Präsidiumsmitglied

beim Verband hat, dann wäre ich zufrieden. Dann könn-

ten wir endlich die großen Potenziale in unserer Gesell-

schaft optimal nutzen.

Jimmy Hartwig als aktiver Fußballer, hier im Spiel FC Schalke 04 gegen den

Hamburger SV (Saison 1978/79)

Foto: United Archives/Werner OTTO/Süddeutsche Zeitung Photo