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Einsichten und Perspektiven 1 | 18
Frontdienst – Heimatdienst – politische Bildung – Ein Jahrhundert Reichszentrale für Heimatdienst
allmählich der Grundstock des wirklich unbestrittenen
Wissens und Willens um Staat und Volk mehr und mehr
verstärkt wird und daß die Grenze zwischen dem, was
alle politischen Anschauungen als nationales Gemeingut
anzusehen bereit sind, und dem noch Strittigen immer
wieder vorgerückt wird. Das wird mittelbar wieder dem
Gedanken der Volksgemeinschaft und seiner Verwirk-
lichung zugute kommen. Natürlich kann und soll auch
der Kampf der Weltanschauungen und Parteien und der
Wettstreit der wirtschaftlichen Interessen selbst durch die
umfassendste Volkserziehungsarbeit nie beseitigt, sondern
nur entgiftet und eingeschränkt werden.“
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Wie sich Strahl die Arbeit und Organisation der Reichs-
zentrale vorstellt, wird an diesen Passagen bereits sehr
deutlich. Durch die Einberufung eines 15-köpfigen Kura-
toriums, bestehend aus Repräsentanten der im Reichstag
vertretenen großen Parteien, sollte die parlamentarische
Kontrolle erfolgen. Seit 1928 vertrat mithin Joseph Goe-
bbels, der später als Propagandaminister Berühmtheit
erlangen sollte, die NSDAP im Kuratorium.
Abstimmungskämpfe
Deutlich wird die Funktion der Reichszentrale vor allem
mit Blick auf die Abstimmungskämpfe in den ehemaligen
deutschen Gebieten (Eupen und Malmedy, Nordschles-
wig, Südliche Teile Ostpreußens, Ostoberschlesien). Ent-
sprechend der Vereinbarungen mit den Alliierten sollte die
Bevölkerung dieser Regionen darüber abstimmen, ob die
Gebiete dem Deutschen Reich zugeschlagen oder in das
Staatsgebiet der Nachbarstaaten Belgien, Dänemark und
Polen eingegliedert werden sollten. Zugleich war es der
Reichsregierung untersagt, in den Abstimmungsgebieten
propagandistisch tätig zu sein. Die Alliierten wollten auf
diese Weise eine Beeinflussung der Abstimmungskämpfe
durch die Reichsregierung vermeiden. Vor dem Hinter-
grund dieser territorialen Auseinandersetzungen eröffnete
sich mit der Reichszentrale die Möglichkeit, das Abstim-
mungsverhalten zu beeinflussen, ohne direkt die vertragli-
chen Verbote zu verletzen.
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Die Reichszentrale wählte aus dem Kreis ihrer Ver-
trauensmänner insbesondere Verwaltungsbeamte, Lehrer,
Juristen, Bürgermeister und Redakteure aus und bildete
sie im Rahmen von „Redner-Schulungswochen“ fort. Die
Zentralleitung der Reichszentrale lud prominente Redner
in größere Städte ein und veranstaltete „Staatsbürgerliche
20 Ebd., S. 10 f.
21 Vgl. Wippermann (wie Anm. 4), S. 274-280.
Lehrgänge“, die Landesabteilungen initiierten und orga-
nisierten „Staatsbürgerliche Bildungstage“ auf Kreisebene
unter Beteiligung ihrer Vertrauensmänner.
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Schätzungsweise umfasste der Kreis der Vertrauens-
männer ca. 25.000 ehrenamtliche Mitarbeiter. Daraus
kristallisierte sich eine kleinere Gruppe von 200 Referen-
ten heraus, die die ehrenamtlichen Träger der Reichszen-
trale waren. In Einklang mit dem Prinzip der Dezentrali-
sierung der propagandistischen Arbeit wurden neben der
Reichszentrale, die zunächst nur ein kleines Büro in Berlin
unterhalten hatte, auch 17 Landeszentralen für Heimat-
dienst aufgebaut. Der Vorsitzende des Parlamentarischen
Beirats der Reichszentrale, Schulte, trifft in seiner Rede
(1928) die Einschätzung, dass die Reichszentrale durch
diese Struktur in sich den „Charakter einer Behörde und
einer freien Volksorganisation verkörpere“.
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Weimarer Republik: Staatsbürgerliche Erziehung,
Heimatdienst und Propaganda
Wie Klaus Wippermann in seiner detaillierten Stu-
die nachweisen konnte, war die Reichszentrale in der
Weimarer Republik ein Instrument der Propaganda und
diente der direkten und indirekten Beeinflussung der
Bevölkerung:
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Von 1920 bis 1933 erschienen 14-tägig Mitteilun-
gen der Reichszentrale für Heimatdienst unter dem
Titel „Der Heimatdienst“.
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Ferner publizierte die RfH
zwischen September 1919 und Februar 1933 insgesamt
233 Richtlinien nicht nur zu staats-, wirtschafts- und
sozialpolitischen Themen, sondern auch zu innen- und
außenpolitischen Fragen und grenzpolitischen Proble-
men. Zu nennen sind hier beispielsweise „Das deutsche
Selbstbestimmungsrecht“, „Bildung und Politik“, „Was
uns in Oberschlesien verloren ging“, „Unsere Not –
Unser Lebenswille“, „Friedensvertrag, Reparationen und
Deutschlands Not“, „Deutschlands Schicksalsstunde!“,
„Deutschland im Abwehrkampf! Um das Ruhrrevier!“,
„Die Deutschen außerhalb der Reichsgrenzen“, „Die
Reparationen – Deutschlands Schicksalsfrage“, „Minder-
heitenschutz und Völkerbund“, „Die Minderheitenfrage
als europäisches Problem“, „Der Kampf des Memel-
22 Vgl. ebd., S. 261 ff.
23 10 Jahre Reichszentrale für Heimatdienst (wie Anm. 2), S. 2.
24 Wippermann (wie Anm. 4).
25 Die Zeitschrift „Heimatdienst“ umfasste zwischen 32 und 64 Seiten, deren
Auflage ging jedoch allmählich von 250.000 auf 40.000 Exemplare zurück.
Vgl. BA Koblenz B 106/28441, Vermerk, betr.: Rücksprache mit Herrn Dreyer
über die frühere „Reichszentrale für Heimatdienst“, v. 20.11.1951, S. 7.