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Geformt aus Lehm und Sand – eine Zwischenbilanz zur postkolonialen Situation Malis
Einsichten und Perspektiven 4 | 17
venhandel mit der „Neuen Welt“. In den ca. 350 Jahren des
transatlantischen Sklavenhandels sollen bis zu 40 Millionen
Menschen verschleppt und versklavt worden sein.
Mit der beginnenden Industriellen Revolution gewann
Afrika für die europäischen Nationen unter zwei Gesichts-
punkten erneut an Bedeutung: zum einen als Rohstoff-
lieferant bzw. -quelle und zum anderen als Absatzmarkt.
Mit dem „Wettlauf um Afrika“ wird vor diesem Hinter-
grund die imperialistische Erschließung Afrikas in Form
von Kolonialstaaten bezeichnet. Während Großbritan-
nien versuchte Afrika von Nord nach Süd zu kolonisieren,
unternahm Frankreich den Versuch der Kolonisierung von
West nach Ost. Nach der Machtsicherung über Ägypten
1879 durch Frankreich und England und damit der Nut-
zungsmöglichkeit des gerade fertig gestellten Suez-Kanals
zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer wurden
mit der Kongokonferenz 1884/85 in Berlin von den euro-
päischen Kolonialstaaten Regeln für die Annexion afrika-
nischer Gebiete und entsprechender Grenzziehungen fest-
gelegt.
Die Forschungsmissionen des 19. Jahrhunderts von
Mungo Park, David Livingstone, René Caillié, Heinrich
Barth ins „Innere Afrikas“, in diesem Falle Westafrikas
und des Nigerbogens, dienten sicherlich der Kartografie,
der Rohstofferkundung und der Sammlung ethnografi-
scher Grundlagen um damit Grenzziehungen vornehmen,
Infrastrukturen planen, existente Transitrouten beurteilen,
Rohstoffressourcen ermitteln und etwaige Widerstände
bzw. unterstützende gesellschaftliche Gruppen identifi-
zieren zu können. Kenntnisse der lokalen und regionalen
Macht- und Gesellschaftsstrukturen waren nicht zuletzt
notwendig, um ein funktionierendes und stabiles Macht-
und Verwaltungssystem aufbauen zu können.
Die Einführung dieser streng hierarchischen Struk-
turen mit kapitalistischer Prägung wurde nach europäi-
schem Vorbild den afrikanischen Strukturen bei Einsatz
von möglichst wenig europäischem Personal übergestülpt
und mit militärischer Macht durchgesetzt. Die annek-
tierten Länder und ihre Rohstoffe wurden in der Folge
entsprechend ausgebeutet.
Dekolonisierung und Staatsgründung
Von 1895 bis 1958 existierte unter dem Titel „Fran-
zösisch-Westafrika“ die Föderation französischer Kolonien
in Westafrika. Sie umfasste die Territorien von Obersene-
gal und Niger, Senegal, Mauretanien, Französisch-Sudan
(dem heutigen Mali), Guinea, Dahomey sowie der Elfen-
beinküste. Nach dem französischen Verfassungsreferen-
dum vom 4. Oktober 1958 wurde die „
République
Souda-
naise
“ Mitglied der französischen Gemeinschaft. Am 25.
November 1958 erlangte die ehemalige Kolonie interne
Unabhängigkeit. Am 4. April 1959 wurde Französisch-
Sudan mit Senegal zur Mali-Föderation zusammengefasst,
die am 20. Juni 1960 innerhalb der französischen Gemein-
schaft endgültig unabhängig wurde. Die Föderation brach
am 20. August 1960 auseinander, als Senegal sich von ihr
trennte. Am 22. September 1960 wurde im ehemaligen
Französisch-Sudan die Republik Mali proklamiert, die aus
der französischen Gemeinschaft austrat. Die sozialistische
Regierung unter Modibo Keïta suchte die Nähe zur Sow-
jetunion und zu China. Die stetig größer werdende Ver-
schuldung, eine daraus resultierende Wirtschaftkrise Malis
und der repressive Politikstil der Einheitspartei führten
1968 zu einem Militärputsch durch Leutnant Moussa
Traoré. Traoré wurde Vorsitzender der Militärjunta und
somit Staatsoberhaupt. 1974 proklamierte er eine neue
Verfassung für die „Zweite Republik“ . Nach langer Ein-
parteienherrschaft entstanden 1990 neue Oppositions-
gruppen, die Traorés Regime herausforderten. Dies führte
1991 zu einem weiteren Militärputsch, der die Herrschaft
Traorés beendete. General Amadou Toumani Touré wurde
Übergangspräsident und führte mit der Verabschiedung
einer neuen Verfassung und der Etablierung eines demo-
kratischen Mehrparteienstaates Mali in die Demokratie.
Bis zum Putsch im Jahr 2012 war Mali in der Folge ver-
gleichsweise stabil. Die 2013 durchgeführten Präsident-
schaftswahlen konnte Ibrahim Boubacar Keïta (IBK) als
Kandidat der sozialistischen Partei Rassemblement pour
le Mali (Bewegung für Mali) mit knapper Mehrheit für
sich entscheiden.
Wirtschaftslage
Mali gehört entsprechend der Indikatoren der mensch-
lichen Entwicklung des Entwicklungsprogramms der
Vereinten Nationen zu den zehn ärmsten Ländern der
Welt (2015: Rang 179 von 188). Die malische Wirtschaft
wird geprägt von der Dominanz des Agrarsektors sowie
der rasch zunehmenden Bedeutung des Goldbergbaus. Es
besteht ein deutliches Süd-Nord-Gefälle der wirtschaftli-
chen Entwicklung. Südmali weist deutlich bessere Indi-
katoren der Wirtschaftsentwicklung auf als die zentralen
und nördlichen Landesteile, die ihrerseits zunehmend zu
den Hauptrouten des Drogen- und Waffenschmuggels
durch die Sahara werden.
Kunst, Kultur und Architektur
Die westafrikanische Kultur ist ursprünglich eine
schriftlose Kultur, in der die musikalische Erzählung und